Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
zu erkennen, den eine Sache haben konnte. »Aber verachte niemals die phantasievollen Ideen, Jack, zu ihnen gelangt man erst nach vielem Denken, nach vielem Überlegen und vielem Forschen und erheblicher Kühnheit. Sie sind nicht jedem gegeben. Nur denen von uns, die sehen und dennoch weiter schauen.« ›Das ist eine heute sehr seltene Gabe, sie kommt immer weniger vor‹, hatte Wheeler mir am Frühstückstisch erklärt, ›die Gabe, die Leute durch sie selbst und direkt zu sehen, ohne Vermittlung und ohne Skrupel, ohne guten Willen, aber auch ohne bösen Willen, ohne sich zu ereifern.‹ »Wie du und ich, wie Patricia und Peter.« Und er hatte hinzugefügt: ›Das ist es, worin du wie wir sein kannst, Jacobo, Toby zufolge, und ich bin jetzt einverstanden damit. Wir beide haben so gesehen, ohne Vermittlung und ohne Skrupel, ohne guten Willen noch bösen. Wir haben gesehen. Damit haben wir unseren Dienst geleistet. Und ich sehe immer noch.‹ So bezog Tupra sich auf die junge Pérez Nuix, mit ihrem Taufnamen, tatsächlich pflegte er sie so zu nennen oder Pat, mit dem Diminutiv, wie auch Wheeler bisweilen ein Val entfuhr, wenn er sich an seine Frau Valerie erinnerte, über deren frühen Tod er mir lieber noch nichts hatte sagen wollen. (›Wenn es dir recht ist. Wenn du nichts dagegen hast‹, hatte er fast geflüstert, als bäte er mich um einen Gefallen, den, schweigen zu dürfen.) Beide Fälle waren nicht mit meinem zu vergleichen, wenn Tupra oder Frau Berry mich Jack nannten, geschah das aus Bequemlichkeit und phonetischer Nähe zu meinem wahren Namen Jacques, er war es eher als Jacobo und als Jaime, obwohl niemand ihn mehr benutzte. Und dann fuhr er fort oder schloß ab, was er erläutert hatte: »Diese atavistische Angst ist gewaltig, Jack: wenn jemand in der heutigen Zeit ein Schwert über seinem Kopf schweben oder auf seine Brust zielen sieht, wird er in dem Augenblick, da es von der Bildfläche verschwindet und wieder in seine Scheide zurückkehrt, so sehr dem Himmel danken, daß er alles, was fortan über ihn hereinbrechen mag, gutheißen und widerstandslos hinnehmen wird; nicht nur, ohne sich zu verteidigen, sondern mit ungeheurer Erleichterung. Fast mit Dankbarkeit, denn er wird sich schon vor dem ersten Hieb ergeben haben, da er sich bereits tot gesehen hat. Und er wird alles tun, was man will: er wird verraten, er wird denunzieren, er wird die Wahrheit gestehen oder eine Lüge erfinden, er wird das Getane ungetan machen und das Gesagte widerrufen, er wird seine Kinder verleugnen, er wird um Vergebung bitten, er wird egal was bezahlen, er wird sich mißhandeln lassen oder ohne Widerspruch die Strafe akzeptieren. Ohne Protest und ohne Feilschen. Denn ich sagte dir schon, diese Waffe ist heute nur dazu da, um benutzt zu werden, nicht, um bloß damit zu drohen oder jemanden in Schach zu halten oder mit ihr herumzufuchteln. Dazu sind eine Pistole und sogar ein Messer gut, niemand würde sich die Mühe machen, etwas herumzuschleppen, das so unbequem ist, das derart unhandlich ist, wenn er nicht vorhätte, es zu benutzen, und wer es auf sich gerichtet sieht, wird das immer glauben. Deshalb verbreiteten die Gebrüder Kray so große Angst, seit ihren Anfängen, obwohl es ihnen an echter Macht und Kraft dazu fehlte und sie nicht mehr als Anfänger, Emporkömmlinge waren: denn sie erschienen mit ihren Säbeln an jedem beliebigen Ort, und sie benutzten sie. Sie teilten Hiebe aus, Säbelhiebe, und wie sie das taten, mitten in London. Und diese Panik wirkte fort und blieb für immer, eine Legende, die Panik, die sie mit ihrer archaischen Gewalt barbarischerer Zeiten verursachten. Gib es zu, Jack, du selbst hast aufgeatmet, als ich das Schwert von der Bildfläche verschwinden ließ. Und alles, was danach kam, war dir willkommen, war es so oder war es nicht so, Jack? Gib es zu.«
Ich mußte es zugeben, aber ich tat es nicht für seine Ohren. Daß er sich außerdem damit brüstete, erschien mir unerträglich.
»Und worum ging es dieses Mal, Bertram?« fragte ich ihn statt dessen. »Du hast es am Ende nicht benutzt, verdammt noch mal, du hast zum Glück nur gedroht, und ich weiß nicht, was es dir genützt hat, weder es zu ziehen und uns damit zu erschrecken, noch was danach geschehen ist, der Rest. Ich habe nicht gesehen, daß du die Gelegenheit genutzt und De la Garza ausgefragt hättest, auch nicht, daß du etwas von ihm hättest bekommen wollen oder daß du eine Entschuldigung von ihm gefordert oder ihn gezwungen
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