Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
Infektion der Luft).
    »Ich bin mir auch nicht sicher, ob dieser Vergleich stimmt«, antwortete ich, und jetzt begleitete ich sie doch ein wenig bei ihrer Anstrengung, »schließlich sind unsere Berichte nicht öffentlich, sondern mehr oder weniger geheim, soviel ich weiß; jedenfalls kann nicht jeder sie einsehen oder sie in den Geschäften kaufen; und außerdem berichten sie von Leuten, von realen Personen, die niemand erfunden hat und deshalb auch nicht im nächsten Kapitel verschwinden lassen oder streichen kann, und von denen ich nicht weiß, ob das, was wir sagen, große oder geringe Bedeutung für sie hat, ob es ihnen großen Schaden zufügt oder großen Vorteil bringt, ob es sie an etwas Entscheidendem hindert oder es ihnen ermöglicht, ob es ihre Pläne, die für sie wichtig, womöglich lebenswichtig sind, erleichtert oder durchkreuzt. Ob es ihre Zukunft sichert oder sie ruiniert, zumindest die unmittelbare (doch von der unmittelbaren hängt die ferne ab, also hängt am Ende auch alles übrige davon ab). Es ist einfach nicht dasselbe, ob man die Krone, den Staat oder irgendeine Privatperson informiert, glaube ich.«
    »Ach, das glaubst du«, sagte sie. In ihren Worten lag keine Ironie (sie hätte sie sich noch nicht erlauben dürfen), wohl aber vielleicht Überraschung. »Und worin siehst du den Unterschied?«
    Tja, worin sah ich ihn. Ihre Frage gab mir plötzlich das Gefühl, naiv zu sein, absurderweise jünger als sie oder unerfahrener (ich war neuer, hatte sie mir gesagt), und ließ sich schwer beantworten, ohne dabei allzusehr als Idiot, als Einfaltspinsel dazustehen. Aber mir blieb nichts anderes übrig, als es zu versuchen; ich hatte sie herbeigeführt, ich konnte meine bei erster Gelegenheit weggewischte Bemerkung nicht zurücknehmen, ich konnte nicht einfach zugeben: »Du hast recht.« Ihr sagen: »Es gibt keinen Unterschied, ich vermag ihn nicht zu sehen.«
    »Zumindest in der Theorie«, sagte ich, mich absichernd so gut es ging, »wacht der Staat über das Interesse aller, über das der Gesamtheit der Bürger, er hat kein anderes zu haben. Zumindest in der Theorie« – beharrte ich; ich glaubte nicht sehr an das, was ich sagte, während ich es sagte, und deshalb kam es mir langsam über die Lippen; das würde ihr nicht entgehen – »ist er nur ein Vermittler, ein Dolmetscher. Und seine Komponenten, die stets von den Umständen abhängen, sind nicht eigenen, individuellen, privaten Leidenschaften, also weder hohen noch niedrigen, unterworfen. Wie soll ich sagen: sie sind Repräsentanten, Teil des Ganzen, weiter nichts, und ersetzbar, austauschbar. Sie wurden gewählt, dort, wo dies üblich ist, und das gilt für unsere Länder, soweit es im Bereich des Möglichen liegt. Es ist anzunehmen, daß sie für das Gemeinwohl tätig sind. Für das, was sie darunter verstehen, natürlich. Und sie können sich gewiß irren und sogar so tun, als irrten sie sich, um ihren persönlichen und egoistischen Vorteil als Irrtum zu kaschieren. Das geschieht natürlich in der Praxis, wer weiß, wie oft. Vielleicht ständig und überall, von den Kloaken bis zum Palast. Aber man muß ihnen Redlichkeit unterstellen, theoretische, sonst könnten wir niemals in Frieden leben. Es gibt ihn nicht ohne die stillschweigende Voraussetzung, daß unsere Regierungen legitim, sogar rechtschaffen sind, weil unsere Staaten es sind. (Oder ohne diese Illusion, wenn dir das lieber ist). Man dient ihnen also ausgehend von dieser theoretischen Redlichkeit, die auch einen selbst in seiner Aufgabe, seinen Tätigkeiten oder in seinem bloßen Konsens betrifft oder einschließt oder beschützt. Dagegen würde man nicht irgendeiner Privatperson dienen, ohne zuvor genau zu wissen, wer sie ist, was sie beabsichtigt, was sie vorhat, ob sie kriminell ist oder ein gerechter Mensch. Und welchem Zweck unsere Anstrengung dienen wird.«
    »Du hast es gesagt. In der Theorie«, gestand die junge Pérez Nuix mir zu und stellte die Beine nebeneinander und zündete sich eine Zigarette an, eine von meinen, sie nahm sie, ohne mich darum zu bitten, als wäre sie darin ganz unvermischte Spanierin. Es waren keine Rameses II, nur Karelias vom Peloponnes, nicht gerade billig, aber auch nicht kostbar, und beim Tabak bin ich nie kleinlich. Die Laufmasche wurde etwas länger durch diese Bewegung, doch sie sah oder bemerkte sie noch immer nicht. (Oder vielleicht achtete sie nicht darauf.) (Oder aber sie bot sie mir an: eine minimale, bedeutungslose, aber zunehmende

Weitere Kostenlose Bücher