Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
Aber er wird ahnen, nehme ich an, von wem die Aufträge jeweils kommen. Er sieht durch die Wände. Er geht den Ursprüngen nach. Er ist sehr schlau.«
»Heißt das, daß wir manchmal für … Privatpersonen arbeiten? Um es so zu nennen.«
Die junge Pérez Nuix verzog die Lippen in einer Weise, die zur Hälfte leichten Verdruß und zur Hälfte selbst auferlegte Geduld ausdrückte, so als parierte sie widerstandslos die Unannehmlichkeit, sich letztlich doch damit aufhalten zu müssen, nolens volens oder zweifellos nolens , sehr entgegen dem, was ihr lieber gewesen wäre. Ich hatte den Vorteil, das Gespräch zu führen, es abzukürzen oder zu verlängern oder in andere Bahnen zu lenken oder es abzubrechen, solange ihre Bitte noch nicht vollständig war, oder vielmehr, solange sie weder angenommen noch abgelehnt war. Ja, während des ewigen oder verewigenden »Wir werden sehen«; ja, bis zum ausgesprochenen »ja« oder »nein« wäre es ihr so gut wie verwehrt, sich mir in irgendeiner Weise entgegenzustellen. Dies gehört zur kurzlebigen Macht desjenigen, der gewährt oder verweigert, ist der unmittelbarste Ausgleich dafür, daß man hineingezogen wird, für den man wiederum später gewöhnlich die Rechnung bekommt. Deshalb, damit die Herrschaft andauert, wird die Antwort oder Entscheidung oft hinausgezögert, und bisweilen kommt sie sogar nie. Sie stellte ihre Beine nebeneinander und schlug sie dann in der anderen Richtung wieder übereinander, ich sah, wie sich in der Höhe eines Oberschenkels die Laufmasche im Strumpf zu bilden begann, sie würde etwas länger brauchen, um sie zu entdecken, dachte ich (ihre Augen sahen nicht in dieselbe Richtung wie meine), und dann würde ihre Länge sie vielleicht erröten lassen. Aber ich würde sie jetzt nicht darauf hinweisen, es wäre eine Unverschämtheit gewesen, oder so schien es mir auf Anhieb. Jedenfalls hatte es eine angenehme Farbe, das winzige Stück Schenkel, das bereits entblößt war.
»Ist das so wichtig?« fragte sie; nicht in der Defensive, sondern so, als habe sie nie zuvor daran gedacht und frage es daher auch sich selbst. »Wir arbeiten immer für Tupra, oder? In jedem Fall. Er stellt uns ein, er bezahlt uns. Ihm geben wir Rechenschaft, und ihm leisten wir direkt unsere Dienste, im Vertrauen darauf, daß er den angemessensten Gebrauch davon macht, oder, na ja, davon gehe ich selbstverständlich aus, nehme ich an. Oder vielleicht bin ich der Ansicht, daß es nicht meine Sache ist, ich weiß nicht. Es ist nicht Sache des Angestellten einer Fahrzeugfabrik, was am Ende aus den Schrauben wird, die er montiert, oder aus dem Motor, den er zusammen mit seinen Kollegen baut, um es so zu sagen: ob es ein Krankenwagen wird oder ein Panzer, auch nicht, in welchen Händen am Ende der Panzer landet, wenn es ein Panzer ist.«
»Ich finde nicht, daß man das miteinander vergleichen kann«, sagte ich, und mehr sagte ich nicht. Mir war lieber, sie argumentierte weiter, ich war es, der führte, so wie Peter Wheeler zu führen pflegte, wenn er und ich uns unterhielten, oder Tupra, wenn er mich anstachelte oder mich befragte oder mich zwang, mehr zu sehen, und mich so aus der Reserve lockte.
»Na, wie willst du, daß ich es sage.« Ja, bisweilen war etwas Seltsames oder halb Englisches an ihren Wendungen, aber es war fast nie bloß fehlerhaft. »Das wäre ja, als würde ein Autor sich nicht um den Verleger kümmern, dem er seinen Roman übergibt, damit er ihn so weit es geht verbreitet, sondern um die möglichen Käufer des Werkes, das dieser in seinem Verlag veröffentlicht. Es gäbe keine Möglichkeit, sie auszuwählen, zu kontrollieren oder zu kennen, und vor allem wären sie nicht seine Sache, nicht die des Autors. Er füllt sein Buch mit Geschichten, Plots, Ideen. Schlechten Ideen, Versuchungen, wenn du willst. Aber was aus ihnen entsteht, was sie auslösen, das ist nicht mehr seine Sache und liegt auch nicht in seiner Verantwortung, oder?« Sie hielt einen Augenblick inne. »Oder doch, deiner Meinung nach?«
Sie wirkte aufrichtig – oder authentisch –, ich meine, sie schien zu denken, was sie sagte, während sie es formulierte: mit einer Spur Unsicherheit, Unschlüssigkeit, mit einer Spur des Denkvorgangs darin, auch mit Anstrengung (der Anstrengung, wirklich zu denken, nur mit dieser, aber die wird immer seltener in der Welt, so als sage die ganze Welt fast immer nur noch ein paar Fragmente auf, die jedem zugänglich sind, selbst den Ungebildetsten, eine Art
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