Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
während der Jugend oder gar der Kindheit, wenn diese nur ein wenig vergrübelt oder langweilig gewesen sein sollte, hartnäckigste – das heißt objektlose – Ressentiments auszubrüten; und an seiner Art, dieses beherrschende Kinn einzuziehen und sich dabei unter verstärktem Einsatz der Zähne in die Mundschleimhaut zu beißen, konnte man eine Mischung aus chronischer, niemals überwundener Scham und einem allgemeinen Hang zur Vergeltung bemerken, die er vermutlich, was weiß ich, bei der geringsten Provokation oder beim geringsten Anlaß und selbst ohne sie übte, wie es Gerechtigkeitsliebhaber gewöhnlich tun oder jene, die sich als solche fühlen. Ein reizbarer Mann, auch wenn er diesen Ruf sicher nicht hatte, sondern vielmehr den, gelassen zu sein, denn er würde den Zorn fast nie nach außen tragen, er wäre der einzige, der von ihm wissen und ihn ventilieren würde, wenn denn dieses Verb für etwas stehen kann, das sich nur in seinem überhitzten Innern produzieren würde. Die wenigen Male, bei denen der Zorn ausbräche, dürften furchterregend sein, besser, man wohnte ihnen nicht bei.
    Seine Frau hatte ihn möglicherweise bei irgendeiner Gelegenheit erlebt, aber ohne sein Gegenstand zu sein, soviel ist sicher, andernfalls wäre sie nicht so kapriziös und ungezwungen aufgetreten, bestimmt wußte sie sich von vornherein im Besitz vollkommener Nachsicht oder eines totalen Freibriefes. Trotz allem waren ihr derart viele neue Unsicherheiten anzumerken – jedes Alter kommt immer überraschend, innerlich braucht ein jedes sehr lange, bis es sich vollendet; oder vielleicht, bis es uns erreicht –, daß es einem fast schwerfiel, nicht herzlich zu ihr zu sein, ungeachtet der beträchtlichen Anstrengung, die sie speziell mir abverlangte, ihrem für den Abend zugeteilten Unterhalter oder Spielzeug. Zweifellos liebte ihr Mann sie, und das war sicher eine Hilfe für sie, aber für gewisse unaufhaltsame Fort- oder Rückschritte gibt es in der Welt keine ausreichende Hilfe. Ich hatte mich während unseres ganzen Abendessens im Vong, in der Nähe des Hotels Berkeley, oberflächlich mit ihr unterhalten oder, genauer gesagt, sie mit mir: sie war gesprächig, überhaupt nicht schüchtern, in dieser Hinsicht mußte ich mich nicht anstrengen; aber ab und zu hielt sie inne, verschränkte die Arme unter ihrem seemännischen Ausschnitt, um ihn zu betonen – ich meine, sie trug eine Bluse mit U-Boot-Kragen; oder es war eher ein Wikingerschiff oder ein Kanu in ihrem konkreten Fall –, betrachtete mich mit einem freundlichen Lächeln und ließ dann mit nicht anmutsloser Gestik – so etwas wie der Imitation eines begründeten Vorwurfs – einer ihrer bevorzugten oder hartnäckigsten Launen freien Lauf: »Mi dica qualcosa di tenero, va, su, signor Deza«, bat sie mich übergangslos und ohne Umschweife, und dabei hatten wir in dem exotischen Restaurant bislang weder getanzt noch duzte sie mich. (Oder sie nannte mich eher »Detsa«, so klang es in ihrer Aussprache.) »Su, signor Deza, no sia così serioso, così antipatico, così scontroso, così noioso, mi dica qualcosa di carino«, der Anfall von Verwöhnungssucht hielt eine ganze Weile an. Und so nötigte sie mich, mir etwas Zärtliches oder Schönes einfallen zu lassen, um es ihr zu sagen, ohne dabei dreist oder beleidigend zu werden, was zu vermeiden Tupra mir dringend angeraten hatte, als er sie mir am Tag zuvor in seinem Büro beschrieben und sich über sie ausgelassen hatte mit seinem rückblickenden Auge für die Damen, das auch zum Fürchten treffsicher war. Über Manoia hatte er mir kaum etwas erzählt, oder nur beiläufig, einen entscheidenden Charakterzug; dagegen einiges über dessen geliebte Frau Flavia, denn er, Reresby – Tupra trug an jenem Abend diesen Namen, vielleicht war er der übliche für Italien oder für den Vatikan –, würde eher nicht zur Verfügung stehen, um ihr Zerstreuung und Vergnügen zu verschaffen.
    »Komm ihr so weit wie möglich entgegen, Jack, was immer ihr einfällt«, hatte er mich angewiesen. »Aber paß auf, daß du die Sache nicht mißverstehst. Nach dem, was ich weiß und gesehen habe, wird sie weiter nichts als Schmeicheleien wollen. Sie braucht sie massenhaft in dieser Phase ihres Lebens, aber ihr genügt eine großzügige, geschickte Dosis, damit sie zufriedener und ruhiger zu Bett gehen kann, als sie aufgestanden sein wird, ich meine jeden Abend und jeden Morgen; denn nach jedem nächtlichen Triumph wird sie mit der

Weitere Kostenlose Bücher