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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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körperlicher Verfall ist, gegen den sie recht und schlecht kämpft, sondern die angstvolle Ahnung, daß ihre Welt verschwinden wird und schon in den letzten Zügen liegt. Ein paar ihrer langjährigen Bekannten sind in den letzten Jahren gestorben, einige ganz unerwartet, eine Pechsträhne; andere haben sich zurückgezogen; noch andere will man ihr entziehen, ohne weiter abzuwarten, mit Gewalt. Es fällt ihr nicht mehr leicht, Begleitung zu finden, um die Nächte durchzufeiern, und regelrechte Feste mit Gastgebern, nirgendwo gibt es sie noch täglich und schon gar nicht in Rom, das heute ein einziges Gähnen ist durch diesen Tölpel von Berlusconi, was für ein Unglücksbringer« (na ja, er sagte »maladroitness« , ein literarisches Wort, das nicht dasselbe bedeutet, aber lassen wir es bei dem Tölpel; und »what a killjoy«, fügte er hinzu, das kommt dem ziemlich nahe; ich hatte es nie zuvor gehört, aber ich schloß auf die Bedeutung, möglich wäre auch »Spielverderber«). »Ich meine Begleitung von der traditionellen, von der alten Art. Es gibt jüngere Adepten, die ihnen nacheifern, sie wollen Manoia gefallen, er gedenkt im Augenblick nicht, Platz zu machen in seinem Bereich.« Hier erkannte ich eher die Schule von Sir Peter Wheeler: so wie dieser eine Ewigkeit gebraucht hatte, um mich darüber aufzuklären, was Tupras »Gebiet« war, erwähnte letzterer mir gegenüber wie selbstverständlich einen »Bereich«, um kein Wort darüber verlauten zu lassen. Aber um die Wahrheit zu sagen, es interessierte mich auch nicht. »Doch unter diesen Lehrlingen ist die Dame etwas verloren und fühlt sich als Veteranin. Das ist das Schlimmste, was jemandem passieren kann, der zu lange jung gewesen ist, sei es, weil er sehr früh erwachsen geworden ist, sei es durch übertriebene Pakte mit dem Teufel (nur um den klassischen Ausdruck zu gebrauchen, diese Pakte sind gefährlich). Da sie keine Kinder hat, ist sie außerdem noch immer die Tochter des Hauses, und das verwöhnt sehr, man bezahlt teuer für den Gegensatz, sobald man hinausgeht und drei Schritte tut und sich in irgendeiner Diskothek plötzlich entsetzt mit der Tatsache konfrontiert sieht, daß man um den Titel des ältesten Besuchers wetteifert; sehr schädlich für die Seele, dieser Szenenwechsel. Besser, man besucht Kasinos.«
    Mich wunderte, daß ich keine Ironie in seinem Gebrauch des Wortes »Seele« bemerkte, das bedeutete nicht, daß es sie nicht gab. Er fuhr wieder an, aber er sprach dennoch weiter. Bei ihm ließ sich fast nie unterscheiden, wann er etwas genau wußte, mit gesicherten Angaben, und wann er eine geläuterte Deutung dessen anbot, was er sah; ob er in diesem Fall über die genauen Lebensumstände des Ehepaars Manoia Bescheid wußte oder sie nur ausgehend von anderen Treffen mit ihnen (vielleicht ein einziges Mal, wer weiß) vermutete, was bei ihm hieß beschloß: »Kannst du dir eine Welt vorstellen, in der du fast niemanden mehr kennst, und, was entwürdigender ist, in der niemand dich kennt oder nur vom Hörensagen? Das ist es, was sie zu ahnen beginnt, natürlich noch ohne es sich einzugestehen, ohne es vor sich selbst zu formulieren, vielleicht ohne das geringste Bewußtsein, daß es vor allem das ist, was sie jeden Tag ein wenig mehr verbittert und erschreckt. Aber ich habe in manchen Augenblicken bei ihr schon den gleichen unsicheren, verwirrten Blick gesehen, wie er sich in den Augen der Alten festsetzt, wenn sie zurückbleiben, wenn sie sich und fast alle Gleichaltrigen überleben und sogar irgendeinen Nachkommen, das passiert selbst Peter Wheeler, und dabei hat er Glück, er hat für Ersatz gesorgt, ein Privileg derer, die bewundert werden von denen, die ihren Platz einnehmen werden und schon einnehmen, oder der großen Meister. Aber was kann eine sympathische Frau erwarten, die einmal, ja, sehr schön gewesen ist und es noch immer ist, wenn du willst, die sich mit Festen und Feierlichkeiten abgegeben hat und deren größtes Verdienst es ist, das Leben um sich herum oberflächlich aufgeheitert zu haben?« Nie konnte ich mich daran gewöhnen, in England in den Autos den Fahrersitz einzunehmen und kein Lenkrad vor mir zu haben. Nie gelang es mir, sicher zu wissen, was an jedem Satz, den Tupra von sich gab, beabsichtigt oder zufällig – bedeutsam oder Beiwerk – war: immer trieb einen der Zweifel um, ob man sie ganz normal anhören oder aber mit dem Gedächtnis auf Hochtouren festhalten und verfolgen sollte, ohne sich ein einziges

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