Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
gleichen täglichen Angst aufwachen und denken: ›Gestern noch, ja, aber heute? Ich bin einen Tag älter.‹ Und wenn du sie an zwei Abenden nacheinander begleiten müßtest (das ist nicht geplant, keine Sorge), würdest du wieder von neuem beginnen müssen, der ganze Eifer und die Arbeit von vorn, sie befindet sich in einer unersättlichen Phase, in der sich nichts ansammelt, du weißt schon, ohne Erinnerung an die eingefahrene Ernte. Daß wir uns jedoch recht verstehen: unersättlich nur nach galanten Bemerkungen und Komplimenten ohne Ende, nach Bestätigung, nicht nach mehr. Auch nicht, wenn es für dich danach aussieht, und zwar glasklar« (na ja, »crystal-clear« war es, was er gesagt hatte). »Auch nicht, wenn sie dich mit Blicken und Gesten, mit flüchtigen Berührungen und äußeren Zeichen und sogar mit Worten darum bittet. Da darfst du nicht nachgeben und dich nicht täuschen. Es ist eine Ehe, die … ja, sagen wir katholisch ist, sicher sehr streng in dieser Hinsicht, und nur in dieser, in keiner anderen, ich würde schwören, sie können sich über alle übrigen Gebote hinwegsetzen, von einigen weiß ich, daß sie es tun. Manoia möchte, daß sie zufrieden ist, und es kommt darauf an, was er will, zumindest morgen kommt es mir sehr darauf an. Aber er wäre imstande, glaube ich, jedem einen Messerstich zu verpassen, der zu weit geht, sei es auch nur mit Worten. Trotz seiner harmlosen Erscheinung. Paß also auf und wäge gut ab, ich bitte dich, wo die Grenzen liegen und der schlechte Geschmack beginnt, nicht, daß wir uns auf die dümmste Weise Komplikationen einhandeln. Seine Grenzen, nicht deine. Bei ihr könntest du dich täuschen, verstehst du. Also täusch dich nicht. Überschütte sie mit Aufmerksamkeiten, aber im Zweifelsfall ist es besser, wenn du untertreibst, das läßt sich immer wiedergutmachen, aber das Gegenteil nicht. Deshalb nehme ich lieber dich und nicht Rendel mit, obwohl er passender ist für eine so fröhliche, fidele Dame wie Mrs. Manoia. Er kann sich bisweilen nicht bremsen.«
Sie hatte immer etwas Überraschendes für mich, die Art, in der Tupra sich auf Menschen bezog, mit denen er Kontakt hatte, die er analysierte, deutete oder erforschte, vielleicht beschränkte er sich bei niemandem auf ersteres. Obwohl es so viele waren und sie so rasch aufeinander folgten, waren sie für ihn alle jemand , sie schienen für ihn niemals austauschbar oder einfach, niemals Typen zu sein. Auch wenn er sie nicht wiedersehen würde (oder sie nie leibhaftig gesehen hatte, wenn wir nur mit Videos arbeiteten), auch wenn er eine geringe Meinung von ihnen hatte und uns diese vermittelte, reduzierte er sie nicht auf Schemata und erklärte sie nicht für sattsam bekannt, so als sei ihm genau bewußt, daß es nicht einmal unter den gewöhnlichsten Menschen zwei gleiche gibt. Über Flavia Manoia hätte ein anderer Mann vielleicht zusammenfassend gesagt: »Die typische uneinsichtige Frau in den Wechseljahren, ertrag ihre Launen und laß sie glauben, daß die Männer noch immer vor ihr auf die Knie fallen und du als erster, damit werden wir sie gewonnen haben. Ihre Leichtgläubigkeit wird dir keine Kunststücke abfordern, sie haben bestimmt dutzendweise vor ihr gekniet, vor einigen Jahren. Schau ihre Beine an, sie sind gut erhalten, sie zeigt sie zu Recht, und du wirst es dir vorstellen können. Sie wackelt auch gut mit dem Hintern«, hätte vielleicht dieser Mann mit sehr diffusen Grenzen zum schlechten Geschmack hinzugefügt.
Tupra dagegen – oder er war schon Reresby, als wir auf dem Weg zum Restaurant in dem Aston Martin saßen, den er an den Abenden aus der Garage holte, an denen es zu renommieren oder Süßholz zu raspeln galt – brachte es fertig, sich in komplexen Erörterungen über die Dame zu ergehen, oder in solchen, die über sie und ihren unbedeutenden Fall hinausgingen (aus dem Mund des nachdenklichen Reresby nahm er sich nicht mehr so aus). Immer wenn ich derlei Scharfsinnigkeiten von ihm hörte, gewahrte ich an ihm die alte Spur von Toby Rylands, dessen Schüler er Peter Wheeler zufolge gewesen war, und dann kam mir wieder zu Bewußtsein, was die drei vom Charakter oder von der Fähigkeit her miteinander verband, oder vielleicht war es die gemeinsame Gabe, die sie auch mir zuschrieben (in allem übrigen war Tupra ganz anders): »Du mußt bedenken, daß das, was Mrs. Manoia im Grunde am meisten mit Furcht und Schrecken erfüllt«, erklärte er vor einer roten Ampel, »nicht ihr baldiger
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