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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Gesellschaft vor Zeugen, die mich kannten, unerträglich der Gedanke, jemand könnte mich mit dem Subjekt in Verbindung bringen, nicht einmal als Landsmann: ich hätte mich selbst verleugnet, nur um ihn auf Distanz zu halten, ich hätte mir rasch einen anderen Namen zugelegt (Ure oder Dundas, zum Beispiel, sie waren frei heute abend), ich hätte den Unbekannten gespielt und natürlich den tausendprozentigen Briten oder Kanadier und mit starkem imitiertem Akzent zu ihm gesagt: »Ich nicht verstehen. No Spanish. « Und angesichts seiner zu erwartenden sprachwidrigen Hartnäckigkeit hätte ich die letzten Hoffnungen beseitigt: » No Spanglish either , Mann.«
    Als ich ihn also erkannte und auf seinem Kopf keine bedenkliche Kopfbedeckung sah (immerhin), beschränkte ich mich darauf, Ungläubigkeit in meiner Märtyrerbrust zu fühlen, das heißt, ich konnte inmitten meines verschärften Tanzens den Gedanken fassen: ›Heiliger Himmel, das darf nicht wahr sein. Der Attaché De la Garza treibt sich verkleidet als schwarzer Dandy-Rapper oder vielleicht als schwarzer Impresario eines ebenfalls schwarzen Boxers in den Londoner Diskotheken herum. Vielleicht hält er sich zu dieser Stunde sogar selbst für einen Schwarzen.‹ Und es gelang mir noch, hinzuzudenken: ›Volltrottel, und außerdem weiß.‹ Da stand ein Mann, den der gute Geschmack ungeduldig machte, oder bei dem der schlechte so beherrschend war, daß er jede Grenze niederriß, die klaren wie die diffusen; mehr noch, ein Typ, der bereit war, fast jedem weiblichen Wesen ein laszives Interesse abzugewinnen – oder es war ein eher schweinisches Interesse, dem reinen Entleerungstrieb nahe –, wenn er bei Sir Peter Wheeler imstande gewesen war, es der fast ehrwürdigen, hochwürdigen Witwe oder Dekanin Wadman mit ihrem bemühten, mürben Dekolleté und ihrer edelsteinigen Kette aus Orangenschnitzen abzugewinnen, und das nicht zu knapp. (Ich meine, jedem menschlichen weiblichen Wesen, ich würde nicht gerne Dinge andeuten, von denen ich nichts weiß, und auf die nichts hinweist.) Flavia Manoia, vielleicht in ähnlichem Alter, aber mit erheblich mehr Anmut und Überresten (Überresten ihrer Schönheit, versteht sich), konnte ihn durchaus verwirren nach zwei Gläschen, die er intus haben mochte oder sich in den nächsten Minuten zuzuführen gedachte. Mein rasches assoziatives Gedächtnis veranlaßte mich, unlogischerweise nach dem fast uralten Lord Rymer Ausschau zu halten, der verderblichen, berühmten Flasche von Oxford, mit der De la Garza bei dem kalten Abendessen so oft angestoßen hatte und die unfehlbar jeden zum maßlosen Trinken anstiftete, der auf Flaschenweite oder flask -Weite, was dasselbe ist, an ihn herankam. Doch seine Berühmtheit und seine mühseligen Bewegungen waren nunmehr strikt auf das Territorium von Oxford beschränkt seit seiner Pensionierung im Oberhaus und der daraus folgenden Aufgabe seiner legendären Intrigen in den Städten Straßburg, Brüssel, Genf und natürlich London (vielleicht war er kein Pair auf Lebenszeit, aber es ging das Gerücht, daß die wachsende alkoholische Weisheit seiner Redebeiträge vor den Lords – eine stets unzufriedene Weisheit – ihm am Ende einen vorzeitigen Verzicht auf seinen Sitz nahelegte); und mit seiner bauchigen Figur und seinen so defekten Füßen hätte er sich niemals in die Welt der brutalen Diskotheken gewagt, nicht einmal, wenn De la Garza und noch jemand ihn in der Sänfte der Königin hineingetragen hätten.
    Ich hoffte, daß Rafita in Begleitung dieses Jemand oder mehrerer war, in irgendeiner jedenfalls, und das glaubte ich mit halber Erleichterung (wiederum besser als nichts), als ich sah, daß er ebenfalls in die Richtung einer Gruppe von vier oder fünf Personen grüßte, die an einem Tisch unweit von Tupra und Manoia saßen, oder sie vielmehr durch herablassende Gesten zu Warten und Geduld anhielt, bestimmt alles Spanier oder in der Mehrheit, ihrer lauten Stimmen und ihres exhibitionistischen Gelächters wegen (und außerdem tat einer – ein Mitmacher –, als würde er mit viel Gefühl der idiotischen Musik folgen, was ihm einen völlig unstimmigen Gesichtsausdruck verlieh, so als lauschte er dem reinsten, schmerzvollen Flamenco, der hier in Jahrhunderten nicht erklingen dürfte, nicht einmal in verfälschter, pompöser Form: es war ein Lokal ausschließlich für Krach und Betäubung, der idiotischste Schick der Saison bei der nicht radikalen, aber doch ziemlich betuchten Jugend,

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