Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
vielleicht von Tupra ausgewählt, um auf diese Weise Flavia Manoia angenehm zu sein, oder damit kein anderes Ohr ihn hören konnte als das dicht an seinen Lippen.)
»Mensch, Deza, wo hast du denn diese Mausi aufgetan, Alter?« Das waren die ersten so widerwärtigen wie deprimierenden Worte des Volltrottels Rafita, als er es nicht mehr aushielt und auf die Tanzfläche vorstieß, wobei er sich – tatsächlich – in einer fürchterlichen Imitation wie ein schwarzer Zuhälter in den Hüften wiegte, während das halblangsame Stück und damit auch unser halbschnelles Tanzen noch nicht zu Ende war. »Komm, stell sie mir vor, komm, du alter Bock, sei nicht egoistisch. Ist sie mit dir zusammen oder hast du sie gerade hier aufgerissen?« Er mußte Frau Manoia wohl für eine Engländerin halten und fühlte sich wieder einmal straflos in seiner Sprache, sicher verbrachte er sein dämliches Leben in London in diesem ständigen Gefühl, eines Tages würde es ihn dazu treiben, das Fettnäpfchen ganz durchzutreten, und dann würde man Brei oder Hackfleisch aus ihm machen. Ich drehte mich weiter, und er drehte sich hinter mir mit (ich meine, in meinem Rücken) und redete völlig ungeniert auf meinen Nacken ein, ohne daß ihm das weiter verwunderlich oder auch nur unbequem erschien; ich erinnerte mich an seine Spezialität, sich in fremde Gespräche einzumischen, um sie am Ende zu sprengen, es war nichts Besonderes dabei, daß er sich auch in Tänze drängte und ihnen den Garaus machte. »Ich wette um eine Erstausgabe von Lorca, daß du sie hier irgendeinem Schwachkopf ausgespannt hast. Wo wir durchmarschieren, das weiß man ja.«
Er brachte mich schon mit diesen kleinen Sätzen so auf – der eher kindische als ordinäre Ausdruck, obwohl er letzteres glaubte; die angeberische Wette eines selbsternannten Bibliophilen; der leere Dünkel seines vulgären Patriotismus (dieses »wir« bedeutete zwangsläufig »die Spanier«) –, daß ich, obwohl ich beschlossen hatte, ihm in trübem Englisch zu antworten, warum, werde ich gleich sagen, und mit der Standhaftigkeit eines Kriegsgefangenen an Ure oder Dundas festzuhalten, nicht an mich halten konnte und mich herabließ, ihm rasch hinzuwerfen, wobei ich ein wenig den Kopf zur Seite wandte, nicht aber den gefangenen Oberkörper:
»Du hast keine Erstausgabe von Lorca, nicht mal geklaut, Garza Ladra.« Sicher verstand er die beleidigende opernhafte Anspielung nicht, aber das war mir egal, allein schon daß ich sie machte, verschaffte mir Genugtuung. Jedenfalls griff er sie erst später wieder auf, noch dazu ziemlich einfältig; zuerst einmal schwoll ihm eine affektierte, streitlustige Ader.
»Da irrst du dich aber, du Schlaumeier«, sagte er und hob einen absurden, beringten Finger: vermutlich zog er den Diskotheken-Aufzug mit sämtlichem Zubehör an, wenn er abends ernsthaft auf Tour ging, oder vielleicht war es die Aufmachung eines Neger-Aspiranten; was jedoch in diesem Zusammenhang unerklärlich war (und das ist es, was ich gleich sagen wollte, weswegen ich den Narren hatte spielen wollen, obwohl ich meiner Absicht sogleich zuwiderhandelte), war das goyaeske Trauerhaarnetz, das De la Garza tatsächlich unmöglicherweise trug, um das Haar besser plattzudrücken oder aus sonst einem blödsinnigen Grund, mein zweiter konfuser Blick hatte sich als richtig erwiesen. Jetzt dagegen wollte ich meinen Augen nicht trauen, obwohl das, was ich sah, schmerzhaft war in seiner Deutlichkeit. Dieses Körbchen entsprach nicht einmal einer kleinen Mähne oder einem Nackenschopf, der es ausgefüllt hätte, sein Inhalt war die Leere; wenn er schon wagte, sich mit einer derart unzeitgemäßen Kopfbedeckung zu krönen, die ein kranker Verstand ihm eingegeben hatte, hätte er sich wenigstens ein Toupet leihen können, um ihr Sinn und Gewicht zu geben und sie ein wenig zu rechtfertigen im Rahmen dieser grauenhaften Verirrung. (Sinn in Anführungszeichen, rechtfertigen ebenfalls, Verstand desgleichen.) Es konnte auch gut sein, dachte ich, daß ihm der ehemalige Direktor der Spanischen Staatsbibliothek irgendeinen Ur-Lorca geschenkt oder verkauft hatte – ein Freund von ihm, soviel ich wußte –, jemand, der anscheinend lange Zeit sein Amt dazu benutzt hatte – jetzt erfreute er sich eines höheren –, um edlen Antiquaren lächerliche Preise abzuringen, mit dem Argument, er erwerbe den jeweiligen teuren und seltenen Band für besagte öffentliche Einrichtung, deren Zugang im übrigen den Bürgern
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