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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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uns lassen würde, er neigte zur Anhänglichkeit. Aber Tupra könnte sehr verärgert sein, dachte ich, wenn ich ihn inmitten seiner tratative mit dem vulgären Belletristik-Experten konfrontierte (den er zudem bereits kannte, noch dazu mit Schmuck und einem herunterhängenden Fischernetz); also beschloß ich, Flavia vorübergehend De la Garza anzuvertrauen – was immer beunruhigend war –, ich sah, daß er mehr als bereit war, sie mit seinen gelehrten Geistesblitzen zu erleuchten oder mit Tänzen zu betäuben, die primitiver wären als der meine und nicht auf Abwehr stoßen würden. Bevor ich mich entfernte, flüsterte oder schrie ich ihr ins Ohr, nicht, daß sie sich gekränkt fühlte wegen einer ausgebliebenen Antwort:
    »Mausi heißt Schönheit.«
    »Ach ja? Und wie das? Woher kommt das? Sonderbar.«
    »Na ja, es ist ein volkstümlicher, netter Ausdruck, aus Madrid, aus dem Gefängnismilieu.« Letzteres improvisierte ich, ich weiß nicht, warum; zur Ausschmückung. »Er betrachtet dich als große Schönheit, wie alle, wie jeder.« Na ja, so auf italienisch, in höchstem Maße verbatim . »So hat er dich genannt.«
    »Aber der Botschafter wird doch nicht im Gefängnis gewesen sein?« fragte sie erschrocken. In ihrer Stimme lag nicht so sehr Empörung (gewiß war es für sie nicht ungewohnt, Freunde oder Bekannte vorübergehend im Knast landen zu sehen), als absurde Nachsicht und Sorge in bezug auf das Vorleben der schmucken Vogelscheuche und ihr etwaiges vergangenes Unglück (ich hätte ihm lange Kerkerhaft auferlegt, mit oder ohne Grund). Sie lag wohl an seiner Jugend, vermutete ich, diese Schonung.
    »Nein, nein. Ich würde sagen nein, das glaube ich nicht. Das Wort stammt ursprünglich aus dem Gefängnismilieu, aber die Worte dringen nach außen, reisen, fliegen, verbreiten sich; sie sind frei, nicht wahr?, keine Gitter und keine Mauern können sie zurückhalten. Sie ist ungeheuer, ihre Kraft.«
    »Temibile«, bemerkte De la Garza, der seine Ohren gespitzt und wahrscheinlich einzelne, zusammenhanglose Vokabeln meines spanisch gefärbten Italienisch verstanden hatte (seines war abgeleitet, mit Sicherheit sprach er es nicht; ich meine, das einzige Adjektiv, das er beigetragen hatte). Er war ein As, wenn es galt, seinen Senf dazuzugeben, ohne Zusammenhang und ohne zu wissen, wovon die Rede war, und ohne jemals aufgefordert zu werden, selbst dann, wenn er bisweilen zurückgewiesen wurde, deutlich und unverblümt.
    »Es ist nicht nötig, quindi «, fuhr ich fort, »im Gefängnis zu sitzen, um Wörter zu kennen, die dort entstehen oder erfunden werden. Und übrigens ist er nicht der Botschafter, weißt du; er gehört nur zu seinem Team. Aber ich bin überzeugt, daß er es mit der Zeit werden wird. Und ich denke, er wird es noch weiter bringen, wenn er sein jetziges Wesen bewahrt, das erscheint unverzichtbar; man wird ihn zum Staatssekretär ernennen, zum Minister, anzi .« Es gibt kein genaues Äquivalent im Spanischen für die beiden, anzi und quindi .
    »Minister? Und Minister für was?«
    » Beh . Für Kultur, das ist am wahrscheinlichsten; das ist sein Fach, er ist ein Experte in allem.« Das kam mir spontan von den Lippen: auch beh ist im Italienischen mehrdeutig, vielleicht wollte ich Schritt halten im Gebrauch seiner undefinierbaren Interjektionen. Und ich fügte hinzu, während ich ein wenig von ihr abrückte, um De la Garza das Zuhören zu erleichtern und damit er meine Worte mehr oder weniger zusammenhängend verstand: »Keiner kennt die universale phantastische Literatur so gut wie er, einschließlich der mittelalterlichen und der paläochristlichen. Er weiß einen Haufen.« Letzteres sagte ich mit unzulässiger Wörtlichkeit, indem ich ihn bei Wheelers Abendessen zitierte. Un uovo , ließ ich fallen, ohne jede Hemmung, obwohl ich wußte, daß dieser Ausdruck nicht gebräuchlich und folglich nicht verständlich ist. »Und das ist nicht nur verdienstvoll und nützlich, sondern auch wahnsinnig schick, wußtest du das?«
    »Furchtbar schick«, befand Rafita, ohne viel mitbekommen zu haben, trotz meiner sehr deutlichen Aussprache. Er hatte eine etwas schwere Zunge, nicht allzusehr, das könnte sich bald geben, wenn er in größeren Abständen trank oder die Lüsternheit sie rettete; dieses Mal versuchte er das erahnte Italienisch erst gar nicht. Er betrachtete Señora Manoia mit starrer, glasiger Wollust, ich meine, er war kurz davor, angesichts der Menhire schlicht in Sprachlosigkeit zu

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