Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
verschwinden), Manoia würde das nicht gefallen, wenn er es entdecken müßte, ich sah an einer Grimasse Tupras, daß er das gleiche dachte, und hörte das Schnalzen seiner Zunge, sie hatte es nicht einmal bemerkt, das lag bestimmt am exaltierten Tanzen, ich konnte es mir nicht erklären.
»Ich bringe sie zur Toilette, mal sehen, ob man was dagegen machen oder es kaschieren kann«, sagte er zu mir, während er auf das Mal wies. Und sogleich zu ihr: »Du hast da eine kleine Wunde an der Wange, Flavia.« Und er fuhr sich mit dem Finger über die eigene Wange. »Laß uns zur Toilette gehen, ich warte draußen auf dich. Wasch dir diesen Kratzer, komm, vielleicht kannst du ihn überschminken, ja? Sonst wird Arturo sich Sorgen machen. Er will dich bei sich haben, daß du zurückkommst. Tut es weh?« Sie hob die Hand zum Gesicht und schüttelte den Kopf, sie wirkte nachdenklich oder war nur benommen. Und dann wandte Tupra sich erneut an mich, um mir diesen Befehl zu geben, er sprach rasch, aber ruhig: »Bring ihn in die Toilette der Krüppel und wartet dort beide auf mich, ich werde nicht lange brauchen. Mal sehen, ob wir diese Wunde ein wenig salonfähig machen, es sieht nicht so aus, als sei es ein Schnitt, dann bringe ich sie rasch zu ihrem Ehemann. Halte dieses Arschloch solange zurück, es kann fünf Minuten dauern, nicht mehr, sagen wir sieben. Halte ihn dort zurück, bis ich komme. Diesen Idioten muß man neutralisieren, annullieren.«
Er hatte ihn zuerst cunt und dann moron genannt, das erste Wort kannte ich damals nur in seiner Bedeutung als »Fotze«, der derben oder nur in Gedanken gebrauchten Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsteil, die andere Bedeutung leitete ich ab in jener Nacht und bestätigte sie später anhand des Wörterbuchs, eines für Slang natürlich. Es war nicht sehr verschieden von dem, was ich im Geist als »Trottel« bezeichnete, es ist wahrscheinlich, daß cunt einen ähnlichen Sinn hat, und daß »Arschloch« nicht so genau ist, ich weiß nicht, ob aggressiver. Aber das, was man denkt und sogar, was man sagt, ist nicht das gleiche wie das, was man andere äußern hört; von der Beschimpfung, die man denkt oder auch von sich gibt, weiß man, in welchem Maß sie ernst gemeint ist und daß dieses gewöhnlich nicht groß ist, man weiß, daß sie dazu dient, sich Luft zu machen, und denkt in den meisten Fällen nicht weiter darüber nach und mißt ihr keine Bedeutung zu, denn man ist sich bewußt, daß sie kaum welche hat; man kontrolliert nach Belieben die Heftigkeit, die unter normalen Umständen ziemlich künstlich, wenn nicht falsch sein kann: eine rhetorische Übertreibung, etwas, das man sich selbst oder anderen vorspielt, eine Art Großtuerei. Dagegen wirkt die von anderen geäußerte Beschimpfung immer beunruhigend, egal, ob sie an uns oder an Dritte gerichtet ist, denn es ist schwer abzuschätzen, welchem wahren Kern sie entspricht – Kern der Person, die beschimpft –, welchem Zorn oder welchem Haß, welcher realen Möglichkeit von Gewalt. Deshalb mißfiel es mir, von Tupra diese Wörter zu hören, sicher auch, weil sie mir bei ihm ungewöhnlich erschienen, und wir entdecken bei anderen nicht gern, was auch wir haben oder was unsere häßlichsten Möglichkeiten sind, was bei uns selbst annehmbar erscheint (was soll man machen), wir möchten glauben, daß es bessere Männer und Frauen gibt, wir hätten gern, daß sie makellos wären und außerdem Freunde oder hätten sie zumindest gern in der Nähe und nie auf der anderen Seite, nie gegen uns. Natürlich kommt mir auch nicht so oft »Trottel« über die Lippen, um ein naheliegendes Beispiel zu nehmen, und doch hatte ich es heute abend ständig gedacht, genau wie während des Abendessens bei Wheeler und danach, als ich mit ihm allein war. Aber ich hatte es nicht gesagt, glaubte ich, nicht in seiner Gegenwart, denn es ist auch nicht das gleiche, etwas zu denken und für sich zu behalten, es heftig zu denken und zu verschweigen, oder es vor Zeugen zu äußern oder dem Adressaten an den Kopf zu werfen, sei es auch nur, weil man damit erlaubt, daß einem die geäußerten Worte zugeschrieben werden und für immer als eigene oder aus dem eigenen Mund wahrscheinliche gelten. (»Ich habe es von dir gehört, du hast es gesagt, an dem Tag hast du diese Worte gebraucht.«) Und das heißt schon viel von sich preisgeben, zu viele Karten offenlegen.
Ich fand den Befehl so undurchführbar, daß ich Tupra unumwunden fragte:
»Was heißt das,
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