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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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beschleunigen«, sagte er mir mit seinen Pupillen, die fast so blaß waren wie manchmal seine Iris, oder er tat es mit seinen Wimpern, die so glänzend und dicht waren, daß sie alles andere beherrschten, wenn wenig Licht und mehr Schatten auf ihn fiel); aber die Zeit reichte nicht, dem nachzugehen, also vereinten wir sogleich unsere Augen, damit sie zu viert suchen konnten, und seine waren die ersten, die sie erblickten, er zeigte sie mir mit einem erzürnten Finger, Flavia und De la Garza, als höbe er den Lauf einer Waffe.
    Sie befanden sich mitten auf der raschen Tanzfläche und tanzten wie Besessene, ein jeder, als riefe er nach einem Exorzisten, zum Schrecken mancher Leute, in deren Augen sie sicher seltsame Gestalten waren (sie des Alters wegen, er der Gefahr wegen), dieser Tanz ließ kein klassisches Umschlingen zu, auch kein annäherndes, also war De la Garza nicht der Marter der ragenden Kegel oder horizontalen Eispickel ausgesetzt, die wir beide schon erlitten hatten, vielmehr war er es – und das erschien uns höchst alarmierend und veranlaßte uns, unverzüglich und rücksichtslos einzugreifen –, der jetzt Frau Manoia peitschte, fast buchstäblich oder ohne fast, und das Erstaunlichste dabei war, daß ihr die unfreiwilligen Hiebe nichts auszumachen schienen – das glaubte ich, ich weiß nicht, ob auch Tupra –, die ihr dieser Volltrottel beim Tanzen verabreichte, man mußte schon ein Trottel auf höchstem Niveau sein, um derart wild zu tanzen, in geringer Entfernung, mit Drehungen à la Travolta, wobei er seiner Partnerin ebensoviel Nacken wie Gesicht zeigte, ohne bedacht zu haben, daß das leere Haarnetz, ohne Nackenschopf noch Haarmähne, die es ausgefüllt hätten, oder sonst ein Gewicht, das es beschwert oder gebremst hätte, sich in eine Peitsche verwandeln konnte, einen Riemen, einen unkontrollierten Strick; hätte er an seiner Spitze irgendeine metallische Verzierung angebracht, wäre es in seiner Wirkung den Wurfkugeln eines Gaucho oder der Knute eines grausamen Kosaken gleichgekommen, zum Glück hatte er es nicht mit Nestelstiften oder Kügelchen oder Glöckchen oder Stacheln oder sonst was abgerundet, das hätte Flavia zu Hackfleisch gemacht; trotzdem schauderte es mich, denn ein solcher Einfall hätte in seinem leeren Hirn Platz im Überfluß gehabt und wäre sehr passend gewesen für einen Schwachkopf seines Kalibers: verkleidet als schwarzer Rapper und napoleonischer Torero, als schmucker Maler Meléndez auf dem Selbstporträt im Louvre und als wahrsagende Zigeunerin mit vorschriftsmäßig klirrendem und pendelndem Ohrring (alles auf einmal, ein konfuses Wesen). ›Ich würde ihm eine nach der anderen kleben und nicht mehr aufhören‹, das war mein einziger, kurzer und einfacher Gedanke in jenem Augenblick. Bei jeder Drehung geißelte sein verdammtes Haarnetz die Stelle Flavias, die auf seiner Höhe und in seiner Reichweite war, zum Glück schoß die Geißel meistens über ihr Haar hinweg, oder vielleicht waren es verschiedene Toupets, da De la Garza größer war; aber wir konnten gerade noch sehen, wie das Haarnetz, als der Attaché sich ein wenig duckte in seinen fiebrigen Zuckungen, Frau Manoia einige Male ins Gesicht schlug, von Ohr zu Ohr. Allein der Anblick tat schon weh, deshalb war es so unbegreiflich, daß sie nichts zu merken schien, so viele Schichten Schminke die Hiebe auch abfedern mochten: sie erinnerte mich flüchtig an diese Boxer mit ihrer ungeheuren Fähigkeit, einzustecken und nicht einmal mit der Wimper zu zucken, wenn die ersten Prügel sie treffen – ein wahres Geprassel von Schlägen –, obwohl es gewöhnlich darum geht, daß man ihnen ein Wangenbein oder eine Augenbraue ruiniert und endlich aufplatzen läßt.
    Wir warteten nicht, bis das wilde Musikstück zu Ende war. Wir stürmten sofort auf die Tanzfläche, packten sie fest und behutsam an den Schultern (Tupra ging auf Flavia zu, ich auf den Trottel, wir mußten uns nicht absprechen), und brachten sie jäh zum Stehen. Wir sahen ihre perplexen Gesichter, und wir sahen auch – da wir ihnen jetzt nahe waren –, daß Frau Manoia ein Mal an der Wange trug, eine vom Strick herrührende Abschürfung, ein von der Peitsche stammender Striemen, es war kein Blut hervorgetreten, aber er war kenntlich, wie eine Kratzwunde, er erinnerte mich an die Spur, die in den Western noch lange Zeit am Hals der Gehenkten zu sehen ist (den entkommenen Gehenkten; aber so sehr auch wieder nicht, bei ihr würde er bald

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