Dein Glück hat mein Gesicht (Junge Liebe) (German Edition)
„Er will, dass wir
unsere Gefühle unterdrücken. Ich finde das nicht
verständnisvoll.“
Sie zog einen Schmollmund, wobei Neal auffiel, wie naiv
sie in manchen Dingen noch war.
„Dad hat recht“, sagte er somit. „Das, was wir ausleben,
ist sowohl gesetzlich, als auch moralisch nicht zu vertreten.“
Er stand auf. Nervös ging er ein paar Schritte. Er fühlte
sich extrem belehrend, obwohl er das eigentlich gar nicht
sein wollte, aber seine Schwester zwang ihn dazu.
Obgleich es ihm im Herzen wehtat, sagte er: „Es war
schön, aber es muss zu Ende sein.“
Er fuhr sich über das Gesicht. Es war noch schmaler
geworden die letzten Wochen. Er fühlte sich erschöpft und
ausgelaugt. Irgendwie stellte er fest, dass sein Leben nicht
wirklich so verlief, wie er es sich gewünscht hätte.
Gefasst drehte er sich um. „Es dauert bestimmt nicht
lange, dann wirst du einen Jungen aus deiner Schule
anhimmeln und mich vergessen.“ Er lächelte, obwohl ihm der
Gedanke daran einen Stich in das Herz bescherte. Und
Francis belohnte seine Theorien auch noch mit einem
wütenden Blick.
„Das meinst du doch wohl nicht ernst?“
Neal seufzte. Er sah zu Boden.
„Mach es uns nicht schwerer, als es schon ist.“
Dann hörte er sie schluchzen, was ihn endgültig aus der
Fassung brachte.
„Hör auf zu heulen!”, schrie er. „Ich kann nichts dafür,
dass wir Geschwister sind! Wenn es nach mir ginge, dann ...“
Er stoppte und schluckte herunter, was er sagen wollte.
Das Thema wollte er beendet haben. Darum verließ er das
Zimmer, ohne Francis noch einmal anzusehen.
Die Anspannung fiel erst von ihm ab, als er mit seinem
Wagen in die Stadt fuhr. Einige Minuten saß er noch im Auto,
bevor er seine Stammdisco betrat.
Von Weitem konnte er Carsten sehen. Der erste
Lichtblick des Tages, sozusagen.
Und Carsten schlug Neal zur Begrüßung auch sofort
freundschaftlich auf die Schulter. Doch was er dazu sagte,
brachte Neal fast zur Weißglut.
„Ich habe das in der Zeitung gelesen. Nettes Foto!“ Er
sah seinen Freund neugierig an. „Ist das denn wahr? Du
knutscht deine Schwester?“
Neal verdrehte die Augen. Fast hätte er die Disco
wortlos wieder verlassen. Doch was konnte Carsten dafür?
Alles was in Neals Leben momentan passierte, hatte er sich
selbst eingebrockt. Und das Schlimme war, dass er nicht mal
mehr sagen konnte, ob es alles wirklich so tragisch war, wie
es schien.
Vielleicht hatte er überreagiert? Vielleicht war der Rat
seines Vaters gar nicht der richtige gewesen? Vielleicht hätte
er seine Schwester nicht so kalt abservieren sollen?
Sie war ihm doch wichtig.
Wie er die Sache auch abwägte, er kam zu keinem
endgültigen Ergebnis. Sein Schweigen bestätigte Carsten in
seiner Vermutung.
„Es stimmt also. – Du bist ja ein ganz Schlimmer!“
Carsten hob seinen Zeigefinger und lachte dabei. Neal blieb
hingegen todernst.
„Ich will davon nichts hören!”, sagte er mit Nachdruck.
„Gönne mir doch bitte mal fünf Minuten, in denen ich nichts
davon hören muss!“
Er wandte sich ab. Der Junge hinter dem Tresen war
heute ein anderer. Neal bestellte sich ein Bier, zahlte sofort.
Als er sich mit seinem Getränk wieder der Tanzfläche
zudrehte, war Carsten wieder da.
„Es tut mir Leid“, entschuldigte der sich. „Ich kann mir
das nur nicht vorstellen.“
„Ich mir langsam auch nicht mehr“, entgegnete Neal.
Sein Gesicht wirkte maskenhaft, wie versteinert. Verbissen
leerte er die Hälfte seines Glases. „Ich habe mich noch nie so
hilflos gefühlt.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich mache
wirklich alles falsch.“
Sein Blick irrte durch den Saal. Es waren dieselben
Gäste da. Einige hatte Neal schon „näher“ kennengelernt,
andere reizten ihn gar nicht. Und nur in der hintersten Ecke
konnte er einen gut gebauten, muskulösen Mann erkennen,
der wie schüchtern vor einem Glas saß und ab und zu
unsicher nach links und rechts schaute.
„Guck mal, der Typ da hinten, sieht aus wie Dolph
Lundgren.“ Neal lächelte. Vielleicht auch ein wenig über sich
selbst, weil er so gekonnt vom Thema abweichen konnte und
zudem Erleichterung verspürte, mal nicht nur an Francis
denken zu müssen.
Und der Mann glich tatsächlich dem besagten
Schauspieler. Er war groß, hatte kurze, helle Haare, ein
markantes Gesicht, schmale Augen, sinnliche Lippen und
wirkte trotz seiner kräftigen Erscheinung sehr sanftmütig. Er
trank nicht, wie die anderen Besucher, Alkohol, sondern saß
vor
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