Dein Glück hat mein Gesicht (Junge Liebe) (German Edition)
mulmig war Neal schon zumute, als er die
Treppen in das erste Geschoss nahm. Nachdem er seine
restlichen Sachen gepackt hatte, trat er in Francis’ Zimmer
ein, um auch von ihr Abschied zu nehmen.
Sie hatte Nicholas gerade gewickelt und gestillt. Das
kleine Baby war daraufhin müde geworden und lag mit
geschlossenen Augen in dem Kinderbett. Neal verhielt sich
trotzdem leise, um es nicht wieder aufzuwecken.
Und bevor er etwas sagen konnte, kam seine Schwester
ihm zuvor:
„Du gehst also?“ Es klang vorwurfsvoll, und in Francis’
grünen Augen sah man die Wut aufsteigen. „Hast du dir ja toll
ausgedacht.“
Sie verschränkte ihre Arme vor den Bauch.
Neal trat näher, dabei sah er in das Kinderbett. „Es geht
nicht anders“, begann er, seine Lage zu erklären. „Und du
wusstest, dass wir das Album planen.“
„Ich wusste aber nicht, dass du für immer gehst!“ Ihre
Stimme wurde lauter. Nicholas bewegte sich, doch er wurde
nicht wach.
„Ich weiß nicht, ob es für immer ist“, sprach Neal weiter.
„Ich weiß nur, dass eine Menge Arbeit auf uns zukommen
wird, und das wird einige Zeit dauern. Es würde keinen Sinn
ergeben, wenn ich hier bleiben würde.“ Betroffen sah er zu
Boden. „Außerdem“, fügte er hinzu, „würde es nur Probleme
geben, wenn ich bleibe.“
Er wandte sich dem Kinderbett zu. Dann streckte er
seine Hand aus, um Nicholas’ Wange zu streicheln. Er war
nie direkt überzeugt gewesen, dass es richtig war, das Kind
auf die Welt zu bringen. Doch nun, wo sein kleiner Sohn da
war, spürte er regelrechten Stolz. Und jetzt sollte er sein Kind
schon wieder verlassen? Ja, es ging nicht anders.
„Wir müssten immer auf der Hut sein. Und ich müsste
Nicholas ständig anlügen.“ Er richtete sich auf und schüttelte
den Kopf. „Ich habe dieses Versteckspiel jetzt schon satt.“
Er kam auf seine Schwester zu, um sie zu umarmen,
doch sie wich ihm gekonnt aus. Alles, was sie ausstrahlte,
war Ablehnung und Kälte.
„Du machst es dir ganz schön einfach!“, fauchte sie,
dabei stemmte sie ihre Arme in die Seiten, was ihren
tadelnden Ausdruck verstärkte. „Du hast doch nur Angst,
dass man die Wahrheit erfährt. – Du denkst nur an dich, lässt
mich alleine.“
Als Neal diese Vorwürfe hörte, musste er sogar nicken.
Seine Schwester hatte recht. Er hatte tatsächlich Angst. Die
letzten Monate waren die Hölle für ihn gewesen. Er konnte
einfach nicht mehr.
„Für Nicholas ist es auch das Beste.“
Francis winkte ab. Ihre Stirn war in Falten gelegt. Sie
war sichtlich wütend und enttäuscht.
Demonstrativ drehte sie ihrem Bruder den Rücken zu.
„Dann hau doch endlich ab!“
Tränen schossen ihr in die Augen, die sie schnell
wegwischte. Unmöglich wollte sie ihren Stolz verlieren.
„Ich möchte nicht, dass wir im Streit auseinandergehen“,
hörte sie Neal noch sagen. Er kam wieder näher und
versuchte noch einmal, sie zu berühren. Da drehte sie sich
schlagartig um und schrie ihm regelrecht ins Gesicht.
„Verschwinde! Und komm’ nicht auf die Idee, mir
dämliche Briefe zu schreiben! Und telefonieren will ich auch
nicht mehr mit dir, ist das klar?“ Ihr Brustkorb hob und senkte
sich vor Anstrengung.
„Aber ...“ Neal schluckte. Händeringend suchte er nach
den passenden Worten. Er konnte nicht glauben, dass das
nun alles gewesen war.
„Leb wohl.“ Francis deutete zur Tür. „Viel Glück in
England.“
Ein paar Sekunden stand Neal noch regungslos da und
resignierte schließlich. Er nahm seine Tasche, um dann
stillschweigend das Zimmer zu verlassen.
In Andrés Wohnung angekommen, stellte er seine
Tasche zu den anderen Sachen. Schon früh am Morgen
würde eine Spedition alles abholen und zum Flughafen
fahren. Zum wiederholten Male zückte Neal die Flugtickets.
Er hatte Plätze um die Mittagszeit gebucht. Er spürte eine
innerliche Erleichterung, dass endlich ein neuer Abschnitt in
seinem Leben beginnen würde, doch auf der anderen Seite
plagte ihn die Tatsache, dass er Francis verlassen musste.
Er versuchte sich immer wieder einzureden, dass es das
Beste sei, doch wirklich überzeugt fühlte er sich nicht.
Auf dem Küchentisch lag eine Nachricht von André.
„Sind bei Lucys Party – komm doch nach!“
Neal seufzte. Ihm war nicht nach Party zumute, und
doch wollte er einige seiner Freunde noch einmal sehen,
bevor es nach London ging.
Lucy kannte er nur flüchtig. Sie war gerade von der
Schule abgegangen und ließ gerne Parties in ihrer neuen
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