Dein goettliches Herz entflammt
Haare wehen.
Plötzlich war sie weg.
»Gehen wir«, sagte der ältere Sebastian, während er mit schnellen Schritten auf den Weg zusteuerte.
Wir blieben zusammen und bewegten uns so schnell wie möglich durch die Sümpfe. Niemand sprach, doch unser heftiges Keuchen und das mühsame Vorankommen durch das Gestrüpp kamen mir unnatürlich laut vor.
Es schien Stunden zu dauern, bis wir eine unbefestigte Straße erreichten. Endlich – keine Blätter mehr, die mir ins Gesicht peitschten, keine Wurzeln mehr, die mich zum Stolpern brachten, kein schlammiges Wasser mehr, in dem ich fast bis zu den Knien versank. Wir rannten in der Mitte der Straße weiter und achteten darauf, nicht in die Reifenspuren auf beiden Seiten zu fallen.
Anstatt wie ich müde zu werden, schienen die anderen jetzt immer schneller zu laufen, als hätten sie irgendwelche Reserven mobilisiert. Ich erinnerte mich an das, was der ältere Sebastian gesagt hatte: Unsere Kräfte funktionieren hier unten nicht . Und ich fragte mich, ob ihre Kräfte – wie auch immer diese aussehen mochten – zurückkamen, ob sie deshalb wieder neue Energie hatten, während ich mich am liebsten auf den Boden geworfen, aufgegeben und auf der Stelle ohnmächtig geworden wäre.
Doch ich ging weiter und konzentrierte mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis mein Körper gleichzeitig taub war und glühte und meine Nasenlöcher so trocken waren, dass es schmerzte.
Die Dämmerung hatte noch nicht eingesetzt, als wir von Uptown aus die ersten Lichter der Stadt sahen und dann über die Leake Avenue und St. Charles am Audubon Zoo vorbeigingen.
Plötzlich blieben einige der anderen stehen. Gott sei Dank! Ich fragte mich nicht, warum, sondern beugte mich vor, stützte beide Hände auf die Knie und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Der stechende Schmerz in meinen Lungen, das trockene Brennen in meiner Kehle waren das Schlimmste, was ich bis jetzt erlebt hatte. Ich stemmte die Hände auf die Hüften und ging in einem kleinen Kreis hin und her, um mein überanstrengtes Herz zu beruhigen.
Einer der Befreiten holte tief Luft und schüttelte sich dann wie ein Hund, der gerade aus dem Wasser gekommen war. Ein Teil des Schmutzes, der an seiner Kleidung haftete, flog davon, doch es blieb noch eine Menge übrig. Er griff nach meiner Hand und küsste sie. »Ich bin Hunter Deschanel. Ich verdanke dir mein Leben. Und ich verspreche, dass ich mich revanchieren werde, wenn es nötig ist.«
Hunter trat zurück. Die beiden Frauen in der Gruppe und ein weiterer Mann kamen zu mir und bedankten sich ebenfalls. Ich konnte nur nicken. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mir irgendetwas schuldig waren. Es war reines Glück gewesen, dass ich aus der Zelle hatte fliehen können, und das wusste ich auch. Wenn das Schwert nicht in meinem Rucksack gewesen wäre, säßen wir jetzt alle noch in dem unterirdischen Gefängnis fest.
Bis auf den älteren Sebastian rannten jetzt alle aus der Gruppe in verschiedene Richtungen davon und verschwanden im fahlen Licht der anbrechenden Dämmerung.
Ich drehte mich zu dem Sebastian-Doppelgänger um, der gerade einem der verblassenden Schatten hinterhersah. Jetzt waren nur noch wir beide übrig. Auf einer dunklen, völlig verlassen daliegenden Straße.
Er legte den Kopf in den Nacken und schloss langsam die Augen. Seine Brust hob sich, als er einen tiefen, reinigenden Atemzug tat. Plötzlich bewegte sich um ihn herum die Luft und zerrte an seiner Kleidung und seinen Haaren, während sie ihn einhüllte – ein kleiner Wirbelsturm, der ihn für einen Moment vor meinen Blicken verbarg. Sie fegte den Schmutz davon und ersetzte die Lumpen durch eine Jeans, ein weißes Hemd und eine dünne schwarze Jacke, die ihm bis zu den Hüften reichte. Die schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden, das Gesicht war frisch rasiert und nur am Kiefer konnte ich noch einen leichten Bartschatten erkennen. Ein schwarzes Tattoo, das irgendwo unter seinem linken Kragen begann, zog sich seitlich an Hals und Kiefer entlang und schlang sich um Ohr und Schläfe.
Mein Herz klopfte wie wild. Ich schluckte und zwang mich, nicht zurückzuweichen. Als er den Kopf in meine Richtung drehte, erstarrte ich. Der Schock hatte mir die Stimme geraubt. Ich begann zu zittern. Dann nickte ich ihm zu und versuchte, das, was gerade geschehen war, in die Reihe der übernatürlichen Phänomene, die ich in den letzten beiden Tagen gesehen hatte, einzuordnen. Eigentlich hätte es mich ja
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