Dein göttliches Herz versteinert (German Edition)
Menai wütend an. »Du hattest als Kind mit Sicherheit nicht viele Freunde.« Reden tat weh, doch ich zwang die Worte trotzdem aus mir heraus.
Menai kicherte. »Vermutlich genauso viele wie du.« Sie griff nach dem nächsten Eimer mit Wasser. »Steh auf.«
Als mir mein eigener Gestank in die Nase stieg, musste ich würgen. Ich war eine biologische Waffe auf zwei Beinen. Mehrere Tage hatte ich in der schmutzigen Zelle gelegen, in der es – abgesehen von dem Loch in der Ecke – kein richtiges Bad gab. Keine Möglichkeit, um mich zu waschen. Außerdem war es mir auch egal gewesen.
Ich rappelte mich auf. Sauberkeit interessierte mich zurzeit mehr als mein Benehmen. »Warum kann ich überhaupt stehen?«, fragte ich überrascht. Als ich an mir heruntersah, fiel mir auf, dass meine Rippen und Hüftknochen stärker hervortraten als für gewöhnlich.
»Der Heiler konnte dir ein wenig helfen. Du stinkst übrigens widerlich.« Sie kippte noch einen Eimer Wasser über mir aus.
Das war nicht abzustreiten. Ich rieb mir über die Haut, während dunkles, schmutziges Wasser an mir herunterrann und in einen Ablauf neben meinen Füßen floss. Menai leerte noch einige Eimer Wasser über meinem Kopf aus.
»Das hätten wir. Jetzt kannst du wenigstens nicht mehr das Becken verseuchen.« Sie stellte den Eimer ab. »Seife und Shampoo sind da drüben. Den Rest machst du selber.«
Ich ging zu dem dampfenden Becken, in das Stufen hineinführten, und tauchte einen Fuß nach dem anderen in das heiße Wasser. Zentimeter für Zentimeter stieg ich in das Becken, während die offenen Stellen meiner Haut schmerzhaft brannten, doch ich hielt nicht inne, bis ich bis zum Hals im Wasser stand. Am Rand des Beckens fand ich ein Tablett mit Seifen, Shampoos und Schwämmen.
Menai setzte sich auf eine Bank an der Wand, schlug die Beine übereinander und begann, an ihren Fingernägeln herumzukauen. Offenbar hatte sie vor, die ganze Zeit über hierzubleiben. Der »Heiler« war nirgends zu sehen.
»Wo ist der Heiler? War das der Mann in meiner Zelle? Wer ist er?« Ich nahm eine Flasche Shampoo und goss so viel wie möglich davon in meine hohle Hand.
»Das geht dich überhaupt nichts an.«
»Okay. Warum hat man mich aus der Zelle geholt?«
»Heute Abend findet die Prozession statt. Du wirst teilnehmen.«
»Was für eine Prozession?«
Sie verdrehte die Augen, als wäre das eine ausgesprochen dumme Frage. »Seit der Antike findet alle vier Jahre ein Fest zu Ehren Athenes statt. Es wird Panathenäische Prozession genannt. Früher hat es mehrere Tage gedauert, aber inzwischen ist es nur noch ein Abend, an dem die anderen Götter kommen und ihr huldigen. Zuerst gibt es ein Festmahl und dann opfern oder foltern sie die Feinde, die sie gefangen genommen haben … So was in der Art.«
Ja, klar. So was in der Art.
Ich schrubbte meine Kopfhaut und zog dann meine Haare über die Schulter nach vorn, um das Shampoo in die Strähnen einzuarbeiten. Der Schaum war dunkelbraun. Ich tauchte unter, um sie auszuspülen, und nahm mir noch mal Shampoo.
»Wie viele Götter kommen denn zu der Prozession?«
»Eine Handvoll. Die meisten sind Verwandte – die, die Sie noch nicht getötet hat. Wenn sie nicht kommen, glaubt Sie, dass sie einen Anschlag auf Sie planen.«
»Ist wohl einfacher, wenn sie kommen«, mutmaßte ich.
»So ungefähr.«
Ich tauchte wieder unter, um meine Haare auszuspülen. Dann griff ich noch einmal nach der Shampooflasche. »Weißt du, was für eine Rolle ich bei dieser Prozession spielen soll?« Es musste einen Grund dafür geben, dass ich so sauber gemacht wurde, aber es hatte mit Sicherheit nichts Gutes zu bedeuten.
Menai zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ist mir auch egal.«
»Menai«, sagte ich. Dann brach ich ab, um mir zu überlegen, was ich sagen sollte. Mit dieser Ist-mir-egal-und-nicht-mein-Problem-Nummer kannte ich mich aus; ich hatte sie selbst schon unzählige Male abgezogen. Gleich und gleich gesellt sich gern, dachte ich. »Warum machst du da mit? Du bist nicht so wie Sie, du bist nicht böse. Du hättest Sebastian mitten ins Herz schießen können, aber du hast es nicht getan.«
»Vielleicht hab ich ja danebengeschossen.«
»Wieso glaub ich dir das nicht?« Ich hatte nicht den Eindruck, dass Menai jemals danebenschoss.
Für einen kurzen Moment wirkte Menai plötzlich sehr jung und verwundbar, doch er war so schnell wieder vorüber, dass ich keine Zeit hatte, mich zu fragen, was es bedeutete. »Ist doch egal. Es
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