Dein ist das Leid (German Edition)
musterte sie im Rückspiegel. „Gibt es hier Handyempfang?“, fragte sie beiläufig, als würde sie die Antwort nicht längst wissen.
Amanda blickte auf ihr Handy, das sie ständig in der Hand oder im Schoß hielt. „Ja.“
„Wieso bleiben Sie dann nicht im Wagen und fragen mal im Krankenhaus nach, wie es Justin geht? Der Besitzer sagte mir, er würde die Tür unverschlossen lassen. Claire, Marc, Hero und ich fangen schon mal an. Wenn Sie bereit sind, können Sie nachkommen.“
„Ich weiß Ihr Mitgefühl zu schätzen.“ Amanda meinte nicht nur Caseys Sorge um Justin. Sie war ja nicht blöd. Sie verstand, dass man ihr den notwendigen Raum lassen wollte, um sich auf schmerzhafte Erinnerungen vorzubereiten.
„Kein Problem.“ Caseys Blick im Rückspiegel wanderte zu Claire, der sie kurz zunickte.
Alle drei Teammitglieder stiegen aus. Marc ging nach hinten und öffnete die Doppeltür, damit Hero herausspringen konnte. Der Hundwartete gehorsam, bis Marc ihn angeleint hatte.
„Alles bereit?“, fragte Casey.
„Und begierig, endlich anzufangen.“
„Dann los.“
Amanda sah zu, wie das Forensic Instincts -Team das Haus betrat. Pauls Haus. Es schnürte ihr die Kehle zusammen. Wie oft waren sie und Paul durch diese Tür getreten, manchmal mit Einkaufstüten, manchmal redend und lachend, manchmal hatten sie sich sofort die Kleider vom Leib gerissen.
Es war irgendwie surreal, wieder hier zu sein, als würde man in lebendige, bittersüße Erinnerungen tauchen und vom eigenen Verstand gezwungen, sie erneut zu durchleben.
Das alles traf sie viel tiefer, als sie erwartet hatte. Schließlich war sie mit Paul weniger als ein halbes Jahr zusammen gewesen, wie eng und intensiv die Beziehung auch gewesen sein mochte. Amanda war alles andere als ein schwaches, klammerndes Weibchen. Seit dem College war sie für sich selbst verantwortlich gewesen und hatte die Freiheit ihrer Unabhängigkeit genossen. Jemandem wie Paul zu begegnen war das Letzte, was sie erwartet hatte. Und doch war es passiert, und vom ersten Moment an hatte sie gespürt, dass es große Veränderungen in ihrem Leben geben würde.
Es war unerträglich gewesen, ihn zu verlieren; besonders nachdem sie gemerkt hatte, dass sie von ihm schwanger war.
Aber sie hatte es überstanden. Ihr Leben ging weiter.
Und nun war da Justin, ein kostbares Geschenk – aber sein Schicksal hätte sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können. Die undenkbaren Möglichkeiten starrten ihr ins Gesicht.
Vielleicht war es die Kombination von Justins prekärer Gesundheit und ihren eigenen postnatalen Hormonen, was die Erinnerungen so schmerzvoll machte.
Oder sie vielleicht, weil sie die glücklichen Zeiten mit Paul erfolgreich verdrängt und durch Trauer, Zorn und Abscheu ersetzt hatte.
Das heute würde eine lange Konfrontation mit der Vergangenheit werden. Noch nervenaufreibender war die Frage, was ihre Ermittlungen zutage fördern würden. Wenn Paul noch lebte, was für eine Art Mann war er dann wirklich? In was war er verwickelt gewesen, um so vollständig unterzutauchen?
Amanda schloss die Augen für eine lange, quälende Minute, dann ergriff sie ihr Handy und fand sich auf einmal wieder in der realen Welt vor – in der sie seit fast einem Monat um Justins Leben kämpfte.
Sie drückte die Schnellwahltaste für das Krankenhaus.
Bitte, lieber Gott, betete sie, wie jedes Mal, wenn sie dort anrief oder die Station betrat, auf der Justin lag. Bitte lass ihn durchhalten. Bitte lass uns ein Wundermittel finden.
Und dieses Wundermittel musste Paul liefern, ob er wollte oder nicht.
Casey ging den Kiesweg zum Cottage entlang. Sie drückte die Klinke, und wie versprochen war die Tür nicht verschlossen.
Das Haus war behaglich und angenehm – ein großes und ein kleines Schlafzimmer, ein Bad mit Wanne, eine Küche wie eine Bootskombüse, ein kleines Esszimmer und großes Wohnzimmer mit Kamin. Die Hintertür führte auf eine Holzveranda, hinter der eine dichte Baumgruppe stand. Es war zwar kein Wald, bot jedoch ausreichend Schutz vor neugierigen Blicken.
Hero fing sofort an zu schnüffeln, zog Marc hierhin und dorthin, während er all diese neuen und aufregenden Gerüche wahrnahm. Er ließ keinen Zentimeter aus. Marc ließ sich bereitwillig von ihm führen. Je umfassender seine olfaktorische Erfahrung war, desto besser würde er vorbereitet sein, wenn Marc Geruchsproben von Dingen für ihn zusammenstellte, die Paul gehört hatten.
Es wäre nicht das
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