Dein ist das Leid (German Edition)
Wenn nicht, sind Marc und ich bis Mitternacht wieder da. Dann können wir weiterreden.“
12. KAPITEL
Das Anwesen von Lyle Fenton in East Hampton hätte leicht Platz für einen ganzen vorstädtischen Straßenzug geboten.
Heute Abend fuhr Marc, sodass Casey sich von ihrem Kampf durch die Feierabendstaus hier heraus erholen konnte. Er bog in die mit Pflastersteinen ausgelegte Einfahrt, hielt vor dem Tor, drückte auf einen Knopf und wartete, dass jemand antwortete. Nachdem die bewegliche Kamera über den Van und die Insassen geglitten war und jemand am anderen Ende ihre Identität bestätigt hatte, schwang das schmiedeeiserne Tor auf, und sie durften passieren.
Mit Ryans Nachtsichtkamera schoss Casey ein paar Fotos des Grundstücks und des herrschaftlichen Hauses, während der Van sich einige Serpentinen an einem Gästehaus vorbei zu einem palastartigen Hauptgebäude hochkämpfte.
„Eindrucksvoll“, kommentierte Marc trocken. „Wenn auch ein wenig pompös für meinen Geschmack.“
Casey verzog die Lippen zu einem Lächeln. Marc hasste Extravaganz, solchen aufdringlichen Protz. „Ja, geht mir genauso. Wäre für mich auch ein bisschen viel. Ich würde mich schon verlaufen, wenn ich mir bloß mal eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holen will.“ Sie warf einen Blick auf ihre Kamera. „Man weiß nie, wann solche Fotos nützlich werden könnten. Natürlich glaube ich nicht, dass auf Fentons Rasen irgendetwas Belastendes zu finden sein könnte. Da wird uns Patricks iPad-Videoaufnahme sicher viel mehr nützen. Trotzdem, vielleicht können die anderen auch mal einen Eindruck von der Größenordnung gebrauchen.“
„Ganz bestimmt.“ Für Marc waren visuelle Eindrücke ebenso wichtig wie extreme Gründlichkeit. Je mehr exakte Daten sie zusammentragen konnten, desto besser. „Fenton wird vermutlich ein bisschen raubeinig sein, aber ganz sicher auch ziemlich clever. Kein Mensch baut sich so ein Geschäftsimperium auf, wenn er dauernd in die Scheiße tritt. Ob er nun dreckig ist oder sauber – und wir wissen ja beide, was auf Fenton eher zutrifft –, er hat was im Kopf. Wir müssen hier sehr vorsichtig vorgehen, wenn wir etwas erreichen wollen.“
Casey nickte. „Sicher. Ich bin bloß froh, dass wir unser Drehbuch noch mal gründlich durchgegangen sind. Obwohl wir beide wissen, dass wir davon abweichen müssen. Schließlich hat Fenton seinen eigenenPlan – nicht bloß, was er aus uns herauskriegen will, sondern vor allem, was er auf keinen Fall verraten will.“
„Dann setzen wir ihn eben unter Druck. Aber wir erledigen das auf jeden Fall.“
Casey musterte ihn von der Seite. „Bloß keine Drohungen, Marc. Ich will nicht, dass Fenton dahinterkommt, worauf wir eigentlich aus sind.“
„Ich werde dem Typ schon nichts antun.“ Jetzt war es an Marc, verkniffen zu lächeln. „Was nicht heißt, dass ich das nicht gern würde. Besonders wenn er dafür verantwortlich ist, dass Paul Everett seinem todkranken Kind nicht helfen kann.“
„Um das herauszufinden, sind wir ja da.“ Casey blickte aus dem Fenster, als der Van vor dem Haus zum Stehen kam. Die Eingangstür öffnete sich bereits. „Showtime“, murmelte sie.
Lyle Fenton wirkte wie eine Mischung aus einem steinreichen Unternehmer und einem Boxer im Ruhestand. Er war zwar untersetzt, aber eher kompakt und muskulös als schwabbelig. Seine mächtigen Schultern sprengten fast das Jackett seines zweitausend Dollar teuren Anzugs, seine physische Präsenz erinnerte Casey an eine Bulldogge. Er hatte eine rötliche Hautfarbe, was den Eindruck eines harten Burschen noch betonte, und dichtes dunkles Haar mit einigem Grau drin. Aber ob er nun in teuren Klamotten steckte oder nicht, ihm fehlten die Manieren und die Ausstrahlung, die er rüberbringen wollte. Seine Schule waren finstere Gassen gewesen, in denen man sich mit Schlägen oder der Androhung von Schlägen durchsetzte; erst später hatte er seine gegenwärtige Position des Reichtums und der damit einhergehenden Autorität erlangt. Wenn ihm das auf ehrliche Art gelungen war, wäre er ein bewundernswerter Mann. Aber wenn er so schmierig war, wie Casey vermutete, hätte sie für ihn alles andere als Bewunderung übrig.
Er führte sie höchstpersönlich in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. „Ms Woods, Mr Devereaux.“ Er schüttelte ihnen die Hände, musterte Marc kurz, sah dann weg. Marc konnte ziemlich bedrohlich wirken, wenn er wollte, und in diesem Augenblick wollte er das.
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