Dein ist das Leid (German Edition)
Vizzini untersuchte, mochte es gar nicht, sich Vorhaltungen anhören zu müssen. Schon gar nicht vom Leiter des New Yorker Büros.
Aber nichts anderes passierte in diesem Augenblick.
James Kirkpatrick, sein direkter Vorgesetzter im Hauptquartier unten in Washington, D. C, Chef der Abteilung für organisiertes Verbrechen auf den amerikanischen Kontinenten, war im Voraus von dieser Besprechung in Kenntnis gesetzt worden. Und war gar nicht begeistert. In Anbetracht der gewaltigen Ressourcen, die in diese Operation gesteckt worden waren, war das allerdings auch keine Überraschung. Es führte bloß dazu, dass Camden sich noch ineffizienter vorkam.
„Was haben Sie und Ihr Team denn die ganze Zeit überhaupt gemacht?“, wollte der stellvertretende Direktor Gary Linden wissen. „Ich habe mich bei dieser Sache richtig aus dem Fenster gelehnt. Da erwarte ich Ergebnisse. Die Ermittlung hat absolute Priorität. Wir haben nur begrenzt Zeit und noch begrenztere Mittel.“
„Das ist mir klar, Sir.“ Camden spürte den Schweißfilm auf seiner Stirn. „Und wir machen Fortschritte. Es ist jetzt eine feststehende Tatsache, dass Lyle Fenton in diese Angelegenheit verwickelt ist.“
Linden nickte knapp. „Das ist keine große Überraschung mehr.“
„Außerdem hat die Minikamera, die wir in John Moranos Büro installiert haben, seine Zahlungen an die Mafia aufgenommen. Wir haben die Bilder ausgewertet. Es handelt sich eindeutig um Mitglieder der Vizzini-Familie. Und da die Vizzinis die Gewerkschaftsbosse in der Tasche haben, kann keine Baufirma mit den Bauarbeiten anfangen, solange die Bedingungen den Vizzinis nicht zusagen.“
„Toll“, sagte Linden sarkastisch. „Das ist doch alles nichts Neues. Glauben Sie, ich hätte Ihre Ermittlungsgruppe darauf angesetzt, bloß um ein paar Ganoven zu schnappen, die Bestechungsgelder einsammeln, oder um herauszukriegen, dass die Mafia Gewerkschaften kontrolliert? Was wir wirklich herausfinden müssen, ist, wer eigentlich hinter dieser ganzen Operation steckt. Ich betone, der ganzen Operation, nicht bloß hinter irgendwelchen erpresserischen Machenschaften. Könnte es Fenton sein? Jemand anders? Sind noch andere Mafiafamilien beteiligt? Wer schmeißt da eigentlich für die Vizzinis den Laden? Das will ich alles wissen – und außerdem will ich dafür Beweise haben, um vor Gericht gehen zu können. Sonst sehen wir doch aus wie die letzten Volltrottel, die einem toten Gaul die Sporen geben.“
Camden nickte. „Ich verstehe, Sir. Wir stehen ja kurz vor dem Durchbruch. Wir brauchen nur noch ein bisschen Zeit.“
„Uns läuft aber die Zeit davon. Und das Geld geht uns auch aus. Sie müssen herausfinden, wer hinter allem steckt, und die Beweise besorgen, die wir für eine Verurteilung brauchen. Und zwar nicht bald, Camden. Gestern.“
Zur vereinbarten Zeit saßen Casey und Marc in Amandas Apartment auf dem Sofa im Wohnzimmer und wählten sich in die Telefonkonferenz ein.
„Alle versammelt?“, begann Casey.
„Komplett“, antwortete Ryan für die ganze Gruppe. „Alle da, einschließlich Hero, der meine Kekse frisst und auf meine Schuhe sabbert.“
„Prima. Patrick, fangen wir am besten mit dir an, denn mit Marc habe ich schon gesprochen. Er bringt euch hinterher auf den neusten Stand. Was hast du in Washington herausgefunden?“
Patrick trug kurz und bündig vor. Er fing an mit dem Hinweis in dem Coffee Shop, der bisher zu nichts geführt hatte, und berichtete dann, was er bei Fentons und Mercers gemeinsamem Mittagessen in Erfahrung bringen konnte. „Ich hoffe immer noch, dass sich diese Kellnerin bald meldet“, schloss er. „Ich befürchtete, ihn vielleicht zu verschrecken, wenn ich mich noch länger dort aufhielte – immer angenommen, dieser Stammkunde war tatsächlich Paul Everett –, obwohl Evelyn sich ziemlich sicher zu sein schien. Diese Spur ist also auch noch nicht ganz kalt. Aber das Mittagessen, das war dann wirklichein Quell der Erkenntnis.“
„Und das ist noch weit untertrieben“, stimmte Casey zu. „Dass Fenton diesen Mercer ganz klar in der Tasche hat, ist noch das Wenigste, denn so eine große Überraschung ist das ja nicht. Also konzentrieren wir uns mal auf das Wesentliche, nämlich dass Fenton ihn praktisch an die Wand quetschte, um ihn dazu zu zwingen, noch am selben Abend mit ihm zurück nach Hause zu fliegen und sich gleich morgen einem Test zu unterziehen, ob er als Spender für Justin infrage kommt. Da geht es doch nicht um irgendwelche
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