Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
Schulter ruckt, in Richtung des legendären Pubs auf der anderen Straßenseite. »Dann hätte ich Ihnen einen Piccolo und eine Tüte Erdnüsse spendiert.«
Ray verstellt den Innenspiegel so, dass er die Rückbank im Blick hat. Ein Stück Twix bewegt sich zwischen seinen Lippen, während er spricht.
»Ich war noch nie dort«, sagt Tremberg und dreht sich nach dem Gebäude an der Ecke um. »Sieht nicht gerade einladend aus. Haben die Scampi im Korb?«
»Echtes Pub«, sagt Ray. »Ich habe schon darüber gelesen, als ich in diese Scheißstadt gezogen bin. Da war die Hessle Road bereits am Arsch, aber Himmel noch mal, das Pub hatte Klasse.« Es ist nicht das erste Mal, dass Tremberg von dieser Kneipe hört, die das Herz der alten Fischereigemeinde bildete. Hier hatten die Trawlerfahrer während ihrer drei Tage Landurlaub getrunken, im sicheren Hafen nach sechs Wochen lebensgefährlicher Arbeit in fernen Gewässern. Hier wurden alte Rechnungen beglichen, und Spannungen brachen in blutige Gewalt aus. Fehden endeten in Blutbädern oder Vergebung. Und Männer versuchten, den Ozean in ihren Adern Glas für Glas mit Bier zu verdünnen. Es war eine Schenke für harte Männer. Ein Ort zum Trauern und Feiern. Ein Lokal, dessen Stammgäste eine hohe Sterblichkeitsrate hatten und von dem es hieß, dass die Geister der toten Trawlerfischer hier auf einen letzten Drink einkehrten, bevor sie ins Fegefeuer weitersegelten.
»Wie sieht es heute da drin aus?«, fragt Tremberg, nur um irgendetwas zu sagen.
Ray zuckt die Achseln. »War nur einmal dort. Anständiges Bier. Ein paar alte Knacker mit guten Geschichten. Irgendwie ein bisschen traurig, wenn man weiß, wie es früher mal war. Wie es früher hier überall war …«
Ray bricht ab, als er merkt, dass er sentimental wird. Er zeigt auf die heruntergekommene Nebenstraße. Gestikuliert halbherzig in Richtung der billigen Möbelläden, der leeren, schäbigen Cafés.
»Wahrscheinlich war es in der guten alten Zeit genau dieselbe Scheiße«, sagt er, um seinen Anfall von Nostalgie wieder auszugleichen. »Und in fünfzig Jahren werden die Leute glauben, dass das Leben im Hull von heute ein einziges Zuckerschlecken war.«
Wieder Stille.
Adrian Russell, Kaugummi kauend.
Der Sergeant neben Tremberg unterdrückt ein Rülpsen und stößt einen schwachen Hauch des Madras-Rindfleischcurrys vom Vorabend aus …
Tremberg fragt sich, ob sie McAvoy ansimsen soll. Um ihm mitzuteilen, was Ray hier angeleiert hat. Und zu fragen, warum zum Teufel der Detective Superintendent die Leitung der Operation anscheinend seinem rangniedrigeren Kollegen übertragen hat, während er selbst finstere Gedanken wälzt.
Sie fahren alle hoch, als Russells Telefon klingelt. Das Riff aus Gary Numans »Cars«.
Ray und der Detective Superintendent wechseln einen Blick.
Russell schließt die Augen. Meldet sich kaum hörbar mit einem Flüstern.
»Russell. Ja. Ja, eine Frage der Höflichkeit … Nein, offensichtlich. Das weiß ich zu schätzen. Nein. Es ist nicht meine Sache. Es gibt Grenzen, Sie verstehen … Ich glaube nicht, dass das klug wäre … Nein, das ist mir klar. Eine ganz andere Sorte, könnte man sagen. Natürlich kenne ich die Vorteile. Ja. Wenn Sie sicher sind …«
Russell reicht Ray das Telefon.
Der grinst übers ganze Gesicht.
»Detective Inspector Colin Ray. Ausgesprochen Kapital und halbwegs Organisiert.«
Er stellt das Telefon auf Mithören. Scheint das unbehagliche Schaudern des älteren Beamten zu genießen.
Die Stimme eines Fremden dringt heraus: blechern und roboterhaft.
»Mr Ray, es tut mir leid, dass wir uns noch nicht ordentlich vorgestellt wurden. Ich hätte schon dafür gesorgt, aber ich wusste bis heute nichts von Ihrer Existenz.«
Die Stimme ist beinahe akzentfrei. Gut artikuliert, verrät aber nichts.
»Das macht nichts, mein Sohn, ich weiß ja auch nicht viel von Ihnen. Ich weiß nur, dass Sie heute einen schlechten Tag haben.«
Der Sprecher scheint Rays Worte nicht zu registrieren.
»Während der letzten Stunde habe ich diese Unterlassungssünde wiedergutgemacht. Inzwischen bin ich mit Ihren persönlichen Daten vertraut. Gestatten Sie mir, mein Bedauern darüber auszusprechen, dass ein so erfahrener Beamter zu einem solchen Zeitpunkt seiner Karriere so wenig Anerkennung findet. Sie haben sehr viel für diesen Job geopfert, und was haben Sie davon? Eine kinderlose Existenz und mehr Exfrauen, als ein Mann sich leisten kann. So kurz vor der Pensionierung und immer
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