DEIN LETZTER TANZ
schnell wie möglich noch einmal mit Keisha über alles sprechen, und vielleicht sollte sie auch Max zurate ziehen? Ganz davon abgesehen, dass er ein heller Kopf zu sein schien, vertraute sie ihm. Und wenn sie ihn um Hilfe bat, würde er ganz gewiss nicht Nein sagen.
Schuldbewusst zuckte Donna zusammen, als lauter Applaus und kurz darauf schallendes Gelächter aus dem Hauptzelt erklang. Offenbar hatte Clive soeben mit seiner Nummer begonnen. Das bedeutete, dass ihr nicht mehr allzu viel Zeit blieb, um ihr Vorhaben zu erledigen.
Sie blickte sich noch einmal um. Dann verschwand sie in der Dunkelheit zwischen dem Wohnwagen ihrer Eltern und dem Vorratszelt. Dort, direkt am Zaun, der das Zirkusgelände umgab, stand der Bürowagen von Donnas Dad. Obwohl Donna normalerweise nicht besonders furchtsam war, fühlte sie sich jetzt doch alles andere als wohl in ihrer Haut.
Etwas Seltsames lag in der Luft. Etwas, das sie nicht näher beschreiben konnte. Ein Hauch von … Bedrohung.
Sie fröstelte. Auf einmal hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendwo dort in der undurchdringlichen Schwärze der Nacht starrte sie jemand an. Sie konnte seine Blicke förmlich spüren.
Und dann hörte sie das leise kehlige Knurren und erstarrte.
„Wer ist da?“, stieß sie heiser aus.
Niemand antwortete. Dafür erklang wieder dieses Knurren.
Donna atmete tief durch. „Hey“, rief sie, „wenn das ein Witz sein soll, finde ich ihn nicht besonders lustig!“
Wieder keine Antwort.
Angestrengt lauschte Donna in die Dunkelheit hinein, doch nichts rührte sich. Alles blieb ruhig. Sie schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatten ihr lediglich ihre Nerven einen Streich gespielt.
Rasch wandte sie sich um und streckte die Hand nach dem Türknauf des Bürowagens aus – da erklang das Knurren erneut!
Donna stutzte. Dieses Mal hatte es sich ganz nah angehört. Und jetzt glaubte sie auch, einen scharfen Geruch wahrzunehmen, der eine bestimmte Erinnerung in ihr wachrief, die schon Jahre zurücklag. Zuerst wusste sie nicht genau, wo sie sie einordnen sollte, aber dann atmete sie scharf ein.
Soraya!
Natürlich war dieser Geruch irgendwie ständig um sie herum, denn die Löwen lebten nun einmal auf dem Zirkusgelände. Doch so nah und deutlich hatte sie ihn schon lange nicht mehr wahrgenommen. Das letzte Mal war sei noch ein kleines Mädchen gewesen und die jüngste Löwendame im Zirkus kaum mehr als ein tapsiges Baby.
Beides hatte sich inzwischen grundlegend geändert. Donna war schon lange kein Kind mehr, auch wenn es ihren Eltern manchmal schwerfiel, das zu begreifen. Und was Soraya betraf – sie, ihre ältere Schwester Medusa und das Löwenmännchen namens Tristan waren beim besten Willen kein Fall für den Streichelzoo mehr.
Donna erschauderte. Wenn das, was sie befürchtete, tatsächlich der Wahrheit entsprach, dann … Nein, sie musste sich irren! Die Löwen waren alle drei – zu ihrer eigenen und auch zur Sicherheit sämtlicher Mitarbeiter und Gäste des Zirkus – in ihrem geräumigen Käfig eingesperrt. Unmöglich, dass es ihnen gelungen war, zu entkommen. Es sei denn …
Wieder hörte Donna das Knurren. Sie hatte keine Chance mehr. Sie musste der Wahrheit ins Gesicht sehen.
Sie schrie.
Was für eine Show! Ein bildschönes Mädchen und drei wilde Raubkatzen. Kein Gitter, keine Peitsche, kein Schutz! Für so etwas würde so mancher Hollywoodregisseur seine rechte Hand hergeben. Aber diese Sensation – Ladys und Gentlemen – gibt es nur hier, im Zirkus Carrigan! Das dürfen Sie sich auf keinen Fall entgehen lassen!
Hahaha! Was für ein Vergnügen. Und ich muss gestehen, dass diese Nummer fast noch aufregender ist als die, mit der unsere kleine Donna hier sonst immer in der Manege auftritt.
Wie es wohl ausgehen wird? Wer gewinnt – Mensch oder Raubtier?
Obwohl es mir persönlich schon um Donna leidtun würde, darf ich doch mein eigentliches Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und die Kleine weiß bereits zu viel. Es wäre besser, wenn …
Verdammt, was ist das? Wer hat das Licht angemacht – und warum? Unmöglich, dass jemand Donnas verzweifelte Hilferufe gehört hat!
Egal, ich darf kein Risiko eingehen. Jetzt wird mir das Vergnügen, mit anzusehen, wie die Löwen unsere kleine Miss Seiltanz zerfleischen, wohl entgehen.
So ein Pech! Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.
6. KAPITEL
Mit einem Mal flammten die Scheinwerfer, die um das Zirkusgelände herum angebracht waren, auf. Donnas Schrei endete in einem
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