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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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für den rechtmäßigen Erben Nasser od-Din Schahs, der 1896 von Mirza Reza Kermani ermordet wurde, meines Wissens kein Vorfahre von mir. Verwehrt blieb Zell-e Soltan die Krone, weil seine Mutter nur eine Konkubine war. Er bot dem Vater die Unsumme von einer Million Tuman, um dennoch Thronfolger zu werden – vergeblich. Der Ehrentitel, den Nasser od-Din Schah ihm verlieh, klang seither wie Hohn: »Schatten des Sultans«. Mit der Ära Zell-e Soltans, der zum Trost Isfahan regieren – und das hieß unter den Kadscharen: einsacken – durfte, begann unsere Stadt zu verfallen, hieß es stets in den Elegien der Alten, die ich nach der Stadtgeschichte befragte, des Onkels oder von Großvaters gelehrtestem Freund; unter Zell-e Soltan vertrockneten die Gärten, verhungerten die Armen, verarmten die Bürger und fürchteten sich am meisten die jungen Frauen. Dutzende soll er in seinen Palast verschleppt, mehrere hundert Kinder gezeugt haben. Wenn ihm ein Mädchen gefiel, stand dessen Zukunft fest. Die Großmutter oder Mutter meiner Großmutter, vielleicht war es auch deren Tante, soll ebenfalls an einer Straße gestanden haben, auf der Zell-e Soltan vorbeiritt, so daß sein Blut in meinen Adern fließen würde. Wie sich die Berichte anhören, gibt es in Isfahan allerdings kaum eine alteingesessene Familie, in die er sich nicht vergewaltigt hätte. Der Prinz will dem Sohn des verstorbenen Klerikers Hadsch Seyyed Djaafar Seyyedabadi einen Besuch abstatten, der im selben Viertel wohnt wie der Koranlehrer Mirza Mohammad. Zuvor müssen die Straßen gereinigt, die Häuserwände geputzt, die Straßenhändler vertrieben, die Bettler verhaftet und die Anwohner instruiert werden, wie freudig sie den Prinzen zu begrüßen hätten. So haben sämtliche Lehrer und Schüler am Straßenrand den Koran in die Höhe zu halten und Gebete zu rezitieren, wenn Zell-e Soltan an ihrem Seminar oder ihrer Schule vorbeireiten wird. Es ist Sommer, daher findet der Unterricht im Südhaus statt, und von seinem Platz auf der Estrade kann Mirza Mohammad auf die Gasse blicken. Einer der rotgewandeten Beamten steuert mit dem Säbel auf das Klassenzimmer zu. Noch bevor er den Innenhof betritt, schleudert ihm Mirza Mohammad seine Flüche entgegen. »Kerl, verschwinde von hier! Was ist jener denn schon, was ich nicht bin?« Großvater setzt die Sätze in Anführungszeichen, so daß ich sie ebenfalls als Zitat markiere, obwohl es kaum wörtlich sein wird. Am Ende des Abschnitts, den er also nach der Islamischen Revolution schrieb – ich glaube der Mutter inzwischen –, bedauert er, daß damals noch keine Tonbandgeräte existierten, um die Reden des Mullahs aufzuzeichnen. Gegen die königliche Familie wettert Mirza Mohammad ebenso wie gegen die Reichen in Isfahan und die herrschende Geistlichkeit, wahrscheinlich gegen Würdenträger wie den verstorbenen Hadsch Seyyed Djaafar Seyyedabadi, denen der Tyrann seine Referenz erweist. Siebzig Jahre später – wenn die Zahl stimmen würde, hätte Großvater sein Leben bereits Anfang der siebziger Jahre beschrieben, was nicht stimmen kann – wären die Reden »sicher wertvoll und lesenswert« gewesen, wie er auf seine steife Art formuliert. Selbst die Beamten scheinen mit dem störrischen Mullah Sympathie oder wenigstens Mitleid zu haben. Nachdem sie ihm zunächst befehlen, dann drohen, schließlich zu überreden versuchen – alles im Klassenzimmer Großvaters, der bestimmt nicht so ruhig wie sein Lehrer ist –, bitten sie ihn am Vorabend, wenigstens die Tür zu schließen, wenn Seine Majestät vorbeireitet.
    Drei Sterne nach einem Podium bedeuten, daß der Handlungsreisende sich notfalls müde masturbiert, weil er weder im Zimmer auf und ab gehen noch sich in einen Sessel setzen oder baden kann, sondern gezwungen ist, vor dem Fernseher zu liegen. Die Aussicht auf den runden Geburtstag, der im nächsten Jahr bevorsteht, ist am Wochenende nicht erfreulicher geworden, gerade weil es prächtige Feste an beeindruckenden Orten waren, das Essen ausgezeichnet, die Gäste interessant gemischt, kultiviert und fröhlich, Feste, die er nicht einholen wird, und doch so läppisch. Am Ende hängt Gelingen und Mißlingen davon ab, ob der Discjockey genug Gassenhauer auflegt. Wenn nicht, hört man’s bald murren. Die Leute verziehen sich, war schön, ja,

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