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Kinder, zu denen GroÃvater gehörte oder nicht, ihr groÃes oder kleines Geschäft als erstes anzumelden, sobald der greise Mullah zum Toilettenhäuschen schlurfte. Das warâs, das ist das Kapitel über »Die Neugierde der frechen und vorlauten Kinder auf das Privatleben des greisen Mullahs Ali«. Die Stimme des Bildhauers in München hat am Valentinstag 2007, um 12:01 Uhr oder 12:08 Uhr, etwas Resonanz. Der Zustand der Gnädigen Frau hat sich ungefähr auf dem Niveau stabilisiert, auf dem der Freund aus Köln sie sah. Ihre Schwester ist zur allgemeinen Erleichterung aus Iran eingetroffen. Einige RegelmäÃigkeiten haben sich eingestellt, die dem Bildhauer helfen. Etwa hat er nun die Vormittage, um Besorgungen zu machen. Nachts schläft er, darüber wird nicht mehr diskutiert, im Zimmer der Gnädigen Frau, die in der Palliativstation geblieben ist. Der Freund aus Köln, der die Abläufe im Detail nicht kennt, konstruiert den Alltag in München aus einzelnen Hinweisen. Die Gnädige Frau selbst bemerkt im Scherz, daà ihr Leben ja nicht morgen vorbei sei und meint damit wohl, daà die Angehörigen durchaus die Zeitung lesen, einkaufen oder ins Kino gehen dürfen. Mit dem Argument bedrängte sie den Musiker, fürs erste keine weiteren Konzerte abzusagen. Am Telefon gelingt ihr, nachdem sie den Hörer vorübergehend dem Bildhauer reichen muÃte, im zweiten Anlauf ein weiterer Scherz, wenngleich mit so schwacher Stimme, daà der Freund die Pointe erst im nachhinein versteht. Da gebe es vor der Klinik ein Rondell, sagt sie, in das sie den Bildhauer täglich Zeitungen holen schicke, das habe sie aus Versehen tagelang Bordell genannt, bitte geh zum Bordell, habe sie dem Bildhauer gesagt, ich möchte eine Zeitung. Den Arzt habe sie gefragt, ob der Tumor auch auf dem Kehlkopf oder den Stimmbändern liege, daà die Stimme so leise geworden sei. Nein, nein, das sei kein Tumor, habe der Arzt sie beruhigt, das sei nur die Schwäche. Na dann ist ja gut, habe sie gedacht, wennâs weiter nichts ist. Als erstes Organ fielen die Stimmbänder aus. Wann wohl die Scherze? fragt sich der Freund um 12:14 Uhr oder 12:21 Uhr. So artig er noch siebzig, achtzig Jahre später über den einzigen Streich seiner Schulzeit schrieb, wird GroÃvater schon nicht federführend beteiligt gewesen sein, nehme ich an. Ob die anderen Kinder ihn dafür neckten? Bestimmt neckte ihn sein Mitschüler Alichan, von dem GroÃvater in »der anderen lustigen Begebenheit« seiner Schulzeit erzählt. Alichan war der jüngste Sohn eines vornehmen Offiziers, ein widerspenstiger, arroganter Kerl, der schnell grob wurde und selbst den Lehrer, Mullah Mirza Mohammed, verhöhnte. Nur mit Hilfe von drei Mitschülern gelang es dem Mullah, den Jungen an die Bastonade zu binden. Später wurde Alichan ans Teheraner Internat geschickt, aber ein guter Schüler wurde aus ihm sowenig wie aus GroÃvater ein beschwingter Erzähler. AuÃer den Gebeten und der Rezitation des Korans stammen nicht einmal die Geräusche seiner Kindheit von ihm. Der Enkel hat sie hinzugefügt, damit wenigstens sie eine Melodie ergeben, wenn schon nichts von den Gerüchen zu erfahren ist, den Farben, den Ãngsten und Spielen.
»Ich wundere mich, daà niemand bemerkt, wie zwischendurch meine Blicke abgleiten und ich mich beim Moderator entschuldigen muÃ, die Frage nicht richtig verstanden zu haben. Jedenfalls hat mir das noch niemand gesagt, und Sie, Sie erahnen das schon wegen eines Berichts, den Sie über den Abend gelesen haben. Warum ich überhaupt noch auftrete? Es ist viel banaler, als Sie vermuten: Wir haben ein finanziell schwieriges Jahr hinter uns, weil meine Frau wegen einer Krankheit die meiste Zeit ausgefallen ist und auch jetzt wieder für Monate im Bett bleiben muà (aber wie gesagt, aus erfreulichem Grund diesmal), ich deswegen vieles absagen muÃte und oft erst, wenn überhaupt, abends um neun anfing zu schreiben und morgens um sieben schon wieder raus wegen der Tochter. Allein von Schreiben kann ich die Familie nicht ernähren. Also gebe ich gegen erstaunlich viel Geld wahlweise den Intellektuellen, Orientalisten, Iraner, bei sehr guter Bezahlung auch den Muslim und gerade wieder den Schriftsteller, der seinen neuesten Roman präsentiert, das ist es, mehr nicht. Ich gebe darauf acht, niemals zu lügen, und hüte mich davor, alles zu sagen.
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