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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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die Frau sich auf dem Campus einer Teheraner Universität von ihm trennte. Von weitem müssen sie auf der Parkbank wie zwei Verliebte ausgesehen haben. Im Frühling vor zwei Jahren hatte er sie krank zurückgewonnen und hielt durch, bis im Frühling vor einem Jahr mit der Frau auch die Welt seiner Erscheinungen zusammenbrach. Längst könnte er die Einzelheiten der Krise bis hin zum medizinischen Bulletin schildern, da die Diskretion, die er sich zu Beginn auferlegte, inzwischen wie ein Vorsatz wirkt, der einer früheren Existenz angehört, nur sind damit auch deren Bulletins unwichtig geworden. Es war ein Alter, in dem die Tochter einfach hätte in Iran bleiben können, so leicht fiel ihr die Eingewöhnung, so freundlich waren zu ihr die Kinder. Mit acht, neun Jahren wird es komplizierter, wie seine eigene Erinnerung sagt. Mit acht, neun Jahren demolierte er vor Wut einmal mit einem Stock, einem Billardschläger, eine Tür im Haus seiner Tante. Heute bestrafte er die Tochter wie schon lange nicht mehr, vielleicht wie noch nie. Sie war gestern mit ihrem Cousin ungezogen zur Frau, die im Bett liegt, und störte sie ständig. Nachdem die beiden ihre Spielsachen bereits in allen anderen Zimmern verteilt hatten, kamen sie noch auf die Idee, in der Abstellkammer Büro zu spielen. Im Ergebnis lag der Schlüssel in der Kammer und war die Tür zugefallen, die keine Klinke hat. Als heute vormittag der Schlüsseldienst anrückte, stellte sich heraus, daß mit dem Schlüssel auch das Handy, das der Vater seit dem Vortag allerorten gesucht, in der versperrten Abstellkammer lag. Dabei war das Vergehen, wegen dem die Tochter am Wochenende nicht zu den Großeltern fahren darf, harmlos gegen die Zerstörung einer Zimmertür bei Verwandten, die keine Strafe nach sich zog, an die der Vater sich erinnern könnte. Die Tochter wird sich erinnern, daß sie dem Kommilitonen des Vaters aus dem Orientalistikstudium, der aus Berlin zu Besuch ist, ihr Los als Häftling in Guantanámo klagte. Beinah hätte der Vater die beiden zum Karnevalszug begleitet, obwohl der in Guantanámo nicht zum Freizeitprogramm gehört, doch mußte er für die Frau kochen, die zur Zeit soviel ißt wie Rocky vor dem letzten Kampf. Den Film, hochgelobt, sah er vorgestern in der Spätvorstellung. Hätte Sylvester Stallone sich zu einem tragischen Ende durchgerungen – kurz vor dem Sieg trifft ihn der Gegner unglücklich, Rocky endet wie The Greatest of all Time, nur anders natürlich, also nicht motorisch eingeschränkt, anders, damit es keine Kopie wird –, wäre die Enttäuschung aufgewogen gewesen. Er hat angefangen, sich wieder für Filme zu interessieren, wenn schon die sexuellen Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Auch nach Konzerten in der Philharmonie erkundigte er sich. Morgen könnte er als Kompensation für die Strafe, die zu hart ausgefallen ist, die Tochter mit ins Museum nehmen, wo Paul Klee gezeigt wird. O Papa! wird sie rufen und es ihm schon damit gelohnt haben.
    Ebenfalls entfallen ist Großvater, warum er von der Eslamiye-Schule zur Aliye-Schule wechselte. Dazwischen fällt die Konstitutionelle Revolution, die dem Land die erste demokratische Verfassung des Nahen Ostens bescherte und Isfahan die Befreiung von Prinz Zell-e Soltan. Großvater, der aus der Grundschule noch die Väter seiner Lehrer aufzulisten vermag, entsinnt sich lediglich, daß die Stadt ihm an einem Sommerabend wie verzaubert erschien. Es war hell wie am Tag, heller als je gesehen; in allen Häusern und Karawansereien, auf allen Plätzen, im gesamten, über zwölf Kilometer langen, überdachten Basar brannten die Ölleuchten, die Petroleumlampen, die Kerzen und die ersten elektronischen Straßenlaternen, unter denen die Isfahanis feierten, Männer und Frauen. Vor der Sadr-Moschee verteilten Seminaristen Süßigkeiten an die Passanten, und im Basar hatte jede Gilde ein Fest organisiert, die Gilde der Goldschmiede, die Gilde der Kupferschmiede, die Gilde der Emailleure, um nur die zu nennen, die Großvater selbst erwähnt. Es muß der Abend des 9. August 1906 gewesen sein, der Tag, an dem Mozaffar od-Din Schah in die Gründung eines Parlaments einwilligte. Politisch wurde die Konstitutionelle Bewegung schon bald nach ihrem Triumph von Briten und Russen bedrängt und Mitte der zwanziger Jahre vom Kosakenführer Reza Pahlewi endgültig besiegt,

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