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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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sich ein eigener Untereintrag der »palliativen Chirurgie«: »Häufig werden Operationen durchgeführt, um eine Krankheit zu lindern, wenn eine Heilung unwahrscheinlich ist. Dies trifft vor allem für die Behandlung von Krebs zu. Beschwerden können auf folgende Weise chirurgisch gemildert werden: teilweise Entfernung der bösartigen Wucherung, die Körperorgane beeinträchtigt und Schmerzen oder Funktionsstörungen hervorruft, Durchtrennung von Nervenbahnen, auf die der Tumor drückt, sowie Beseitigung von Hautgeschwüren und nachfolgende Hauttransplantation. In einigen Fällen lassen sich, besonders mit Hilfe spezieller Elektrotherapie, großflächige Geschwüre entfernen und die geschädigte Oberfläche mit an anderer Stelle entnommenen körpereigenen Hautsegmenten bedecken.« Palliatrie muß also die Abteilung der Medizin sein, die sich den hoffnungslosen Fällen widmet, die Vorstufe zu Hospiz oder Sterbekammer. Die Gnädige Frau will dort nicht bleiben, sagte der Bildhauer, unter keinen Umständen. Sie ist nur dort, um neu eingestellt zu werden. Der Bildhauer wunderte sich selbst über das Technische des Begriffs. Was genau da eingestellt wird, Hebel oder Knöpfe? Ihre Medikamente oder Pflaster, nimmt der Freund an, dessen Schnellbahn in die Haltestelle Donnersbergerbrücke einfährt. Wenigstens die Schmerzen müssen die doch in den Griff kriegen, flehte er den Bildhauer an. Bis vor einigen Minuten kriegte der Freund seine Gedanken in den Griff. Gestern abend übte er für die ersten Lesungen aus einem Roman, wie er ihn früher schrieb, und packte den Koffer für die dreitägige Reise, von München aus heute noch weiter nach Berlin, morgen Hamburg. An was man alles denken, wie genau man die eigene Hygiene, Kleidung, Lektüre planen muß, gerade um den kleinen Koffer nehmen zu können, der handhabbarer ist. Um Mitternacht ging er ins Büro, nur um die Mütze zu holen, mit der er einen so guten Eindruck macht, und blieb auf dem Weg in der Kneipe hängen. Taubheit ist vielleicht der Begriff, der seinen Zustand bezeichnete, bevor er den Laptop aufklappte. Er war nicht gut- oder schlechtgelaunt, sondern einfach taub, taub nicht im Sinne von gehör-, sondern gefühllos. Er dachte nicht daran, was ihn auf der Palliativstation erwartet, sondern scherzte noch am Morgen mit der Tochter auf dem Schulweg, schaute bei der Bank vorbei, wo der Automat ihm Geld verweigerte, las zum Kaffee die Zeitung, nur ein bißchen schneller, weil sie ihn doch nicht interessierte. Er ärgerte sich darüber, daß der Roman, den er zuletzt schrieb,nicht für den Saisonpreis nominiert ist, wie er der Zeitung entnahm, und noch mehr darüber, daß er sich ärgerte. In München gelandet, checkte er sich bereits für den Weiterflug nach Berlin ein. Für die Fahrt mit der Schnellbahn plante er, zur Besinnung aus dem Fenster zu schauen, und wurde statt dessen so panisch, daß er den Laptop aufklappte, auf dem es am Mittwoch, dem 7. Februar 2007, 12:33 Uhr geworden ist. Weil er sich schämt, auf Lesereise zu gehen, wird er in München niemandem sagen, daß er um 17.15 Uhr nicht nach Köln zurückfliegt. Lange könnte er ohnehin nicht bei der Gnädigen Frau bleiben, allenfalls eine Stunde, sagte der Musiker. Der Bildhauer wird auch nicht viel Zeit haben und noch weniger zu sagen. Hauptbahnhof. 12:37 Uhr und noch zwei Stationen. Stachus. Nur noch eine Station.
    Den Betrag, ab dem er nervös wurde, kann der Handlungsreisende beziffern: 10,43 Euro. Gestern nacht versuchte er nochmals vergeblich, Geld abzuheben. Im Hotel hieß es, daß man im Zug seit neuestem nur noch bar oder mit Euroscheckkarte zahlen könne. Für die Fahrt zum Bahnhof bestellte er, um Kleingeld zu sparen, ausdrücklich ein Taxi, das Kreditkarten als Zahlungsmittel akzeptiert, statt die U-Bahn zu nehmen, und bat den Fahrer, zunächst eine Filiale seiner Bank zu suchen. Der Bankangestellte erreichte in Köln niemanden, der sich zuständig erklärte, das Konto freizugeben. Er würde sich auch über seine Bank ärgern, entschuldigte er sich und riet zu einer Beschwerde. Seit einer Woche oder zehn Tagen kann der Handlungsreisende kein Geld abheben. Bis vorgestern nahm er an, es liege an der Karte seiner Frau, und vertraute bei der Abreise darauf, daß sie das Problem schon regeln würde, Zeit zu telefonieren habe sie im Bett

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