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schlieÃlich genug. An dem Kontostand könne es nicht liegen, versicherte der Student, in dessen Händen der Handlungsreisende seine Finanzen gelegt hat. Während der Bankangestellte weiterhin versuchte, in Köln jemanden zu erreichen, flüsterte er an der Sprechmuschel vorbei, daà der Handlungsreisende mit zwei Monatslöhnen im Saldo stehe, über keinen Dispokredit verfüge und vermutlich deshalb kein Geld mehr abheben könne. Der Handlungsreisende durfte nicht länger darauf warten, daà jemand in Köln den Hörer abnimmt, weil er mit dem Zug nach Hamburg auch den Wochenlohn für die Lesung plus sieben Prozent Mehrwertsteuer verpaÃt hätte. Auf der Fahrt zum Bahnhof schimpfte er am Telefon erst mit dem Studenten, dann mit der Frau, die ihn, so sah er es, in die Lage gebracht hatte, gleich ohne Ticket oder Zahlungsmittel in einen Zug zu steigen und mit einem Trinkgeld eine Nacht in Hamburg zu überbrücken. Im Zug würde er sich schon herausreden, hoffte er, die Strafe fürs Schwarzfahren sich notfalls rückerstatten lassen, und in Hamburg alles mit der Kreditkarte bezahlen. Aber dann die Weiterfahrt nach Köln? Zweimal hintereinander würde er nicht ahnungslos tun können. Ach richtig, er konnte das Ticket nach Köln am Bahnhof kaufen, wo die Deutsche Bahn, so lieà er sich von der Bahnauskunft unterdessen versichern, Kreditkarten als Zahlungsmittel weiterhin akzeptiert. Die Schwierigkeiten beschränkten sich also darauf, das richtige Taxi zu bestellen, auf Zeitung, Brötchen und Kaffee zu verzichten und morgen früh genug am Bahnhof zu sein. Im Sprint erreichte der Handlungsreisende den Zug nach Hamburg und lieà sich von der Vermittlung für 1,81 Euro mit seiner Bank in Köln verbinden, wo der Kunde nach mehreren Warteschleifen als viertes endlich seinen Berater in der Leitung hatte. Zu welcher Erregung der Handlungsreisende fähig ist wegen eines biÃchen Gelds. Ein knapper Hinweis eines Automaten, »Transaktion derzeit nicht möglich«, schon bricht das System zusammen, auf dessen Grundlage er sich durch den Tag bewegt. Der Kopf der Gnädigen Frau â nicht nur ihr Gesicht, sondern auch die ungewohnt kurzen, schneeweià gewordenen Haare, das dezente Make-up und die Ohrringe, auf die sie immer noch Wert legt â läuft weiter wie das Bild einer Ãberwachungskamera nebenher, aber seit gestern als Standbild. Er liest aus einem Roman, wie er ihn früher schrieb, bedankt sich bei den Hörern, schreibt Widmungen, lächelt, macht Scherze, ist vielleicht etwas stiller als sonst, was seiner Ausstrahlung gut bekommt, und blickt gelegentlich, mehr unbeabsichtigt, zu dem Bildschirm hoch, der nur den Kopf der Gnädigen Frau zeigt. Er wird mit ihrem Kopf anfangen, nimmt er sich vor, mit ihrem schönen Kopf, dem die kurzen weiÃen Haare stehen, ohne daà jemand es zugeben würde. Neu war auch, den Bildhauer nicht nur schluchzen zu hören, sondern beim Abschied weinen zu sehen, wenngleich nur für Sekunden, weil er den Freund aus Köln sofort aus dem Auto scheuchte. Der Musiker versucht es mit Klarheit und Disziplin, was genausowenig gelingt. Die Palliativstation erkennt man daran, daà die Böden mit warmem Parkett ausgelegt und die Betten ebenfalls aus Holz sind, gleichwohl sie über alle Funktionen eines Krankenbetts verfügen. Der Bildhauer beruhigte die Gnädige Frau, daà man solche Betten, die ein kleines Vermögen kosten, ausleihen könne. Die Kosten würden von der Krankenkasse erstattet. Daà er seit Monaten nichts verdient, deutete sich in weiteren Bemerkungen an. Als sie einmal zu fünft im Zimmer saÃen, auch die Tochter, die Sängerin ist, fragte die Gnädige Frau in die Stille, was das wichtigste im Leben sei. Der Freund traute sich nicht auszusprechen, was ihm auf der Zunge lag: Dies hier, genau dies, was hier ist, ist das wichtigste im Leben. Gesagt hat er in einem späteren Zusammenhang, daà die Gemeinschaft nicht selbstverständlich sei, die sich rund um das Bett jeden Tag bilde. Immerhin drei Menschen haben mit dem Leben ausgesetzt, um einen vierten zum Ausgang zu begleiten. Das Leben des Freundes hingegen läuft weiter wie die Aufnahme der Ãberwachungskamera und gerade nicht als Standbild, immer das neue jeden Tag gleiche. Auf dem zweiten von vielen Bildschirmen, die es in den Leitstellen immer gibt, sieht der Freund sich selbst, wie er von Bank zu
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