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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Wunsch war, nach Teheran zu reisen, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich heulte wie ein kleines Kind.«
    Auf dem Platz neben dem Führer, der als Logenplatz gilt – Großvater benutzt das französische Wort, heute würde es Business Class heißen – sitzt zufällig ein Engländer, Mister Allanson, wenn ich den Namen richtig zurück ins Englische transkribiere (in der persischen Schrift muß man sich die Vokale hinzudenken), Lehrer an der Bischofsschule im Stadtteil Jolfa, wo heute meine Tante lebt; die Wohnung der Eltern liegt nicht weit entfernt, es ist wegen der Christen, die noch geblieben sind, eines der beliebtesten Wohnviertel Isfahans. Als Mister Allanson den Jungen weinen sieht, holt er ihn zu sich nach vorn, legt den Arm um seine Schultern und beginnt ihn zu trösten und abzulenken. Schau her, hast du je so kräftige Pferde gesehen? Und guck mal die Uniform. Das Persisch kommt dem Jungen so komisch, so gestelzt vor, daß er unter anderen Umständen darüber gelacht, in der Gruppe den Fremden vielleicht sogar ausgelacht hätte. Jetzt spürt er dankbar den Arm, der seine Schultern mehr brüderlich denn wie ein Vater umfaßt, ja wie ein großer Bruder, obwohl Mister Allanson viel älter ist, ein richtiger Herr. Längst ist die Kutsche abgefahren, sie haben die Stadt hinter sich gelassen, die Äcker und Plantagen, fahren auf der Schotterpiste durch die Wüste, da spricht er dem Jungen weiter Mut zu. Mach dir keine Sorgen, sagt er, als erstes werden wir so Gott will Kaschan erreichen, wo wir uns im Paradies-Garten ausruhen werden, der noch herrlicher ist als der Park der Vierzig Säulen in Isfahan, du wirst sehen; anschließend Ghom, wo du so Gott will an Fatimas Grab beten wirst für Vater und Mutter, und dann werden wir so Gott will bald schon in Teheran eintreffen, Teheran wird dir gefallen. So Gott will. Enschâ’allâh , wie der Lehrer an der Bischofsschule mit seinem britischen Akzent gesagt haben wird. Nicht daß Mister Allanson den Jungen oder dessen Eltern oder einen seiner Verwandten oder Lehrer vorher gekannt hätte; aus reiner Freundlichkeit hat er sich seiner angenommen, wird der Junge siebzig, achtzig Jahre später hervorheben, aus Menschenliebe. Obwohl Großvater politisch immer Nationalist war, glühender Anhänger Doktor Mossadeghs, der den Briten den Kampf ansagte, indem er die Anglo-Persian Oil Company verstaatlichte, und noch als Greis gegen den Schah vor allem deshalb demonstrierte, damit die Vorherrschaft Amerikas ein Ende fand, ist mir als Kind schon aufgefallen, mit welcher Verehrung er vom Westen sprach, speziell von Europa, am emphatischsten natürlich von Frankreich, der Kulturnation, die, anders als die Briten, Amerikaner und Russen, Iran in Frieden gelassen hatte (wobei er wie selbstverständlich unterschied zwischen den Staaten und den Menschen). Auch am Respekt für die armenische Kirche in Jolfa und die ausländischen Priester, Nonnen, Missionare, die Krankenhäuser und Schulen errichteten, wurde in seinem Haus nie gerüttelt. Es war etwas Kosmopolitisches an ihm, das Bewußtsein, um es simpler auszudrücken, daß es überall solche und solche gibt. Wenn wir etwas von diesem Bewußtsein haben, wenn ich es habe, dann nicht oder nicht nur, weil wir um die Welt gereist oder von Kant und Kapitalismus aufgeklärt worden sind. Es hat auch andere, ferne Ursprünge, eine lange Geschichte, die ich gerade lese. Es verdankt sich meinem Großvater, der mit der Kutsche von Isfahan nach Teheran gefahren, verdankt sich meinem Urgroßvater, diesem Menschen auf dem Photo, das ich mit ins Büro genommen, wo es neben dem Schreibtisch hängt, dem Mann in der Mitte mit Turban und Zahnlücke im lachenden Gesicht, der den Jungen zum Lernen an die Amerikanische Schule schickte, obwohl ihm beim Abschied genauso zum Weinen war wie allen anderen – und bei ihm kam die Frage hinzu, ob er für seinen Sohn die richtige Entscheidung getroffen hatte –, verdankt sich Mister Allanson, dessen Freundlichkeit den Jungen lebenslänglich davor bewahrte, in einem Menschen den Feind zu sehen, nur weil dessen Staat sich feindlich verhält. Als ich im Staatstheater Darmstadt saß, erste Reihe Mitte, und der Präsident bekanntgab, daß ich in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen worden sei, durchlief mich in all der Banalität des Ereignisses, hinter mir

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