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muà den Brief nicht erst lesen, um einen Jungen aus der Heimat bei sich aufzunehmen, noch dazu einen Schüler seines alten Freundes Mohaseb od-Douleh. Er gibt Anweisung, das Gepäck zu entladen, und läÃt kein Widerwort gelten, als er dem Träger den Lohn auszahlt. Frau Djawaheri, die sich einen Tschador übers Nachthemd geworfen hat, führt den Gast ins Wohnzimmer. Kaum daà er auf dem Teppich sitzt â mitten im Gespräch â, schläft der Junge ein. Als die Djawaheris ihn wecken, wartet schon das Abendessen des nächsten Tages auf ihn. Wer ihn zu Bett gebracht, ihm die Kleidung ausgezogen, weià der Junge nicht, aber er hat es gerade so bequem, daà er die Augen noch einmal schlieÃt, kurz nur, und sofort wieder einschläft.
Andere heulen ihrem oder ihrer Nächsten den Hemdsärmel naÃ, reagieren sich beim Squash ab, meditieren, beten oder besprechen sich mit einem Therapeuten. Das wertet er nicht ab, mag der Satz auch so geklungen haben. Nein, nein, er weià nur am Montag, dem 26. Februar 2007, um 11:08 Uhr nicht auf die Schnelle, wie er es respektvoller ausdrücken soll. Er möchte nichts dagegen einwenden, nur: Er, er kann das nicht. Er kann nicht einmal mit der eigenen Frau ernsthaft reden oder nur selten. Er sitzt auf einem Stuhl und weià nicht mehr weiter, ob mit ihr oder ohne sie. Sie bemüht sich, das sieht und wertschätzt er, sie nimmt Anteil, das tut sie, und etwas tut es in ihm. Aber helfen? Wenn überhaupt, hilft Schlafen, nur wieviel kann er schlafen? In Ausnahmefällen, nach einer anstrengenden Woche, zehn Stunden, vielleicht sogar elf, bei Gefahr von Alpträumen wie in der Nacht zum Samstag, obwohl der Traum nichts mit der Nachricht zu tun hatte, deretwegen er seiner Nächsten den Hemdsärmel naà heulen, sich beim Squash abreagieren, meditieren, beten oder sich mit einem Therapeuten besprechen sollte: Der Musiker erfährt morgen in München, ob er Krebs hat. Ja, er selbst, der Musiker, Sohn der Gnädigen Frau, die stirbt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Schlecht geht es ihm schon länger, was die Ãrzte psychologisch erklärt hatten, mit der Mutter, die stirbt, und einer zerbrochenen Liebe. Die Aussicht hatte auch etwas Erleichterndes, wunderte sich der Musiker selbst: wenigstens eine physische Erklärung. Seiner Familie verheimlicht er sie seit vier Wochen, verbrachte die Vormittage in Arztpraxen oder Kliniken und gab nachmittags in der Palliativstation vor, geprobt zu haben. Die Gnädige Frau wünscht sich so sehr, daà er weiter Musik macht, auch jetzt, also tat er, als sei er ein guter Sohn. Sie darf nicht wissen, wie gut der Sohn wirklich ist. Vor der Operation hat er sie ausnahmsweise morgens besucht und ist direkt weiter in die Onkologie gefahren. Das Wort Chemotherapie würde sie für den kurzen Rest ihres Lebens noch in die Hölle stoÃen. Er sei auf Tournee, wird er ihr deshalb sagen, wenn es soweit kommt. Den Bildhauer und die Sängerin muà er einweihen, daran führt kein Weg vorbei, das sagte er gestern selbst, eine Chemotherapie wäre nicht zu verbergen. Erst einmal GewiÃheit nach den falschen Diagnosen über lange Zeit, der Angriff auf den Körper schleichend, wie der Musiker am Telefon verriet, die Arztbesuche, bei denen er wörtlich mit dem Ausdruck vertröstet wurde: sensibler Künstler, bis ihn ein Onkologe vor zwei, drei Wochen mit der Beruhigung schockierte, daà er nicht gleich sterben werde. Der Bildhauer und die Sängerin werden zusammenbrechen, schlimmer: dürfen es nicht. Alle müssen sich weiter um die Gnädige Frau kümmern, der es am Freitag wieder schlechterging und gestern wieder ein biÃchen besser, nachdem die Dosis, die sie vor den Angstzuständen bewahrt, zu Lasten der Wachheit eingestellt wurde. Wahrscheinlich kehrt sie zurück in der Palliativstation, sobald die sie aufnimmt. Eine Pflegerin hat die Familie nicht aufgetrieben, sechs-, siebentausend Euro im Monat würde sie kosten, wenn sie legal arbeitete. Eine Illegale, die geeignet ist, muà man erst einmal finden. Ein Mann kommt für die Gnädige Frau sowieso nicht in Frage, die der Stamm ist, an den die Familie gebunden, jeder einzelne in eine andere Richtung, damit sie nicht zu Boden sinken. Der Freund aus Köln konnte am Wochenende nicht mit dem Roman fortfahren, den ich schreibe. Gestern hätte er den halben Tag und den Abend Zeit gehabt, und besorgte
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