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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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mein Innigstes sich niemals völlig darstellen wird. Ich muß sie in mich aufnehmen, um sie gelegentlich (als Künstler, wenn ich einmal Künstler seyn will und seyn soll) als Schatten zu meinem Lichte aufzustellen, um sie als untergeordnete Töne wiederzugeben, unter denen der Ton der Seele meiner Seele um so lebendiger hervorspringt.« Was zerstört oder auch nur ablenkt sind keine untergeordneten Töne, sondern der eigentliche, unentbehrliche Stoff, weil das Reine – und hier bin ich zurück bei Hölderlin – »sich nur darstellen [kann] im Unreinen … Und so will ich mir immer sagen, wenn mir Gemeines in der Welt aufstößt: Du brauchst es ja so nothwendig, wie der Töpfer den Leimen, und darum nehm es immer auf und stoß es nicht von dir und scheue nicht dran. Das wäre das Resultat.« Eine letzte Mail muß er beantworten, dann geht er joggen oder liest Hölderlin oder probt die Lesung oder tut sonst etwas von dem, was er tut, um etwas getan zu haben. »Ich weiß schon, es war ein bißchen lang, aber ich fand es wirklich sehr schön, mit Dir in die Philharmonie gegangen zu sein. Und Du warst auch ganz lieb und tapfer. Beim nächsten Mal wird es Dir schon weniger lang vorkommen. Je öfter man geht, desto mehr gewöhnt man sich daran, und desto schöner wird es. Vor allem Beethoven rockt doch fast so wie Neil Young, oder nicht? Und zu Neil Young nehme ich Dich auch mit, wenn er endlich wieder nach Deutschland kommt. / Bis gleich, Dein Papa«.
    Am Dienstag, dem 27. Februar 2007, ungefähr 14 Uhr die Bestätigung: Krebs. Das Wort hört sich gleich schlimm an, sagte der Musiker in München, bevor er es aussprach. Womöglich darf der Freund in Köln daraus schließen, daß es doch nicht so schlimm ist, wie das Wort sich anhört. Der Ophthalmologe, den er fragte, wie schlimm der Krebs des Musikers sei, erklärte, daß es die chronische Variante gebe, die sich lang hinziehe, ewig. Und dann gebe es die gefährliche Variante. Der Freund schließt daraus, daß die chronische Variante, die sich lang hinzieht, ewig, nicht die gefährliche ist. Ein Bekannter ist Spezialist, den Kontakt kann der Ophthalmologe vermitteln. – Um wen geht es? Der Bruder nennt den Namen. – Ist das nicht der Musiker? Ja, und seine Mutter liege im Sterben. Die Stimme des Musikers klang heller als je in den letzten Tagen. Diese Helligkeit kennt der Freund. Er müsse jetzt handeln, sagte der Musiker, alles mögliche organisieren und absagen, andere Ärzte konsultieren, zwei, drei Freunden Bescheid geben, die auf seine Nachricht warten, sich überlegen, wie er morgen den Bildhauer unterrichtet, mit welchen Worten, in welcher Situation, an welchem Ort, zu welcher Uhrzeit. Der Sängerin wird er vorerst nichts verraten, das hat er schon entschieden. Ein Schritt nach dem anderen.
    Der Enkel weiß nicht, ob Herr Djawaheri Süßwaren verkaufte. Großvater schreibt lediglich, daß er, in Teheran eingetroffen, nachts vor dem verschlossenen Ladenlokal stand. Ich stelle mir vor, was für ein Laden es war. Die berühmten Isfahaner Süßwaren verkauften sich vermutlich schon vor hundert Jahren gut in Teheran. Als Isfahani könnte Herr Djawaheri ebenso mit Teppichen gehandelt haben oder mit Obst; die Honigmelonen aus Isfahan sind noch immer Legende. Daß er aus Isfahan stammt, habe ich mir allerdings ebenfalls ausgedacht. Großvater erklärt mit keinem Wort, wer Herr Djawaheri ist und woher sein alter Direktor Mohaseb od-Douleh ihn kennt. Um eine Geschichte zu werden, muß ein Mensch mehr sein als ein Name, das Geschäft der Rhapsoden eben, das niemals schließt. In meinem Laden sind es nur Details, die ich ergänze. Daß der Engländer Mister Allanson heißt und den Arm um Großvater gelegt hat, steht ebenso in der Selberlebensbeschreibung wie die Stationen der Reise, Kaschan, Ghom, »und dann werden wir so Gott will bald schon in Teheran eintreffen«. Hinzugefügt habe ich den Paradies-Garten und das Grab der Fatima, denn bestimmt haben sich die Reisenden in Kaschan ausgeruht und in Ghom gebetet. Der Enkel erfindet nichts als die Wahrheit.
    Gestern abend erreichte der Freund in Köln nur den Anrufbeantworter des Musikers in München. Auf dem Handy probiert es der Freund besser nicht. Den Bildhauer anzurufen, ohne zu wissen, ob er es schon erfahren hat, scheidet ebenfalls aus. Was macht ein Freund

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