Dein Name
glücklich sie auch wirkte. Das Bild möchte er von ihr behalten. 11) Daà der Tod so häÃlich macht, ja häÃlich. Daà sich ihre Aggressionen verflüchtigt haben, macht sie noch verlorener. Im Gesicht ist sie in den zwei Wochen ein weiteres Leben gealtert. Der Plastiksack mit dem Urin, der am Bett herunterhing, der schiefe Mund beim Schlafen. Später erwachte sie und blieb mit Unterbrechungen, in denen sie dämmerte, wach bis kurz vor seinem Abschied. Der Tod ist ein Monster, das ist er, ein Raubtier. Du siehst die Klauen in ihrem Gesicht, die Stücke rohen Fleisches, in die sich seine Zähne beiÃen. Sie ist das Reh, genau so kam es ihm vor, das Reh, das gerissen worden, kurz bevor es stirbt. Sie ist immer noch wunderschön. Sie schaut dich an mit den gleichen gewaltigen Augen. Ihr Körper besteht nur noch aus Fetzen, hier ein Bein, dort die Eingeweide, überall Blut und andere Flüssigkeit, Schaum vor den Zähnen. Nur die Augen schauen dich an, verängstigt, aber ruhig. Woher immer sie die Kraft nahm, sie hat noch einen Brief geschrieben, den ihm die Sängerin übergab, eine ganze Seite in persischer Schrift, die selbst für ihn leserlich ist. Als die Krankenschwester sie am Nachmittag in einen Stuhl gesetzt und in den Aufenthaltsraum gefahren hatte, hielt er ihr das Handy ans Ohr, damit sie den Dank seiner Frau hörte. Als sei sie wiederauferstanden, gelangen der Sterbenden drei, vier fortlaufende Minuten klarer Rede, wie am Vortag, als der Bildhauer das Handy ans Ohr gehalten hatte. Und Chânum solle die Frau sie nicht mehr nennen, sondern sie mit dem Vornamen anreden. Navid Kermani begriff, daà die Bedrängnis in ihrer Stimme nicht, wie er am Vortag angenommen, von der Angst herrührte, sondern allein von der Anstrengung, allenfalls noch von der Sorge, nicht die Punkte zu bewältigen, die sie sich noch vorgenommen hatte, Punkte 1) bis 14c) zum Beispiel. Auch diesmal blieb sie klar, bis sie alles gesagt hatte, was sie seiner Frau sagen wollte, und sank erst wieder in ihre Trübnis, als der Freund das Handy vom Ohr nahm. Die Frau hingegen war kaum zu verstehen, so weinte sie. Iranische Freunde kamen zu Besuch, anschlieÃend freundliche Nachbarn. Passen Sie auf sich auf, sagte die Sterbende ihrem Nachbarn zum Abschied. Passen Sie von da oben auf uns auf, erwiderte ihr Nachbar. Als die Sängerin sich später über einige der Besucher beschwerte, stammelte Navid Kermani: Darauf sei man als Besucher nicht vorbereitet gewesen, auch ihm habe das niemand beigebracht, man habe überhaupt keinen Anhalt, wie man sich zu verhalten haben. Wir würden nichts darüber lernen, wie abscheulich es sei zu sterben, wie unvorstellbar skandalös, im Wortsinn himmelschreiend. Kennten wir doch: Tod gehört zum Leben, tausendmal reflektiert, kapiert, akzeptiert, jeder von uns tritt einmal ab, was man so sage und denke. Aber anwesend zu sein, wenn jemand Geliebtes stirbt â das müsse zu den wenigen Erfahrungen gehören, die das Leben in ein Davor und ein Danach aufteilen. Die Hiobsqual seiner Tante Lobat Madani hat sich ebenfalls eingebrannt, aber als er sie zum letzten Mal besuchte, war sie noch nicht am Sterben, genausowenig wie sich beim vorigen Besuch in den Augen der Sterbenden bereits der Ausgang spiegelte. Das war anders. Nun werden die Tage gezählt. Eine Passage, die aus der Endlichkeit hinausweist, war in seinem bisherigen Leben nur die Geburt der Tochter. Als er aufbrach, schlief die Sterbende längst. Sie röchelte. Die eine Mundhälfte war wieder nach unten gerutscht. Leise näherte er sich dem Bett, um ihr die Hände zu küssen. Noch bevor er sie berührte, schlug sie die Augen auf. Naviiid, dâri miri â Naviiiid, gehst du jetzt? â Ja. Ich fahre jetzt. Ich fahre zu Frau und Kind, schaue, ob alles in Ordnung ist, dann komme ich wieder. â Sag ihr, daà sie vernünftig werden soll. Wenn sie vernünftig wird, wird sie auch Mutter werden. Besch begu âghel bescheh. Agar âghel schewad, mâdarham mischeh .â In Ordnung. Ich sage es ihr. Sie ist jetzt vernünftig geworden und eine Mutter auch.Das ist noch nicht der Abschied für immer. Wir wissen nicht, wann es zu Ende ist. Ich komme bald wieder. â Wenn ich noch bin, hauchte sie. Ihm fiel nichts Besseres ein, als sie wie ein Mullah zu belehren: Das liegt nicht in unserer Hand. Besser hätte er sie wie ein Dichter beschworen, daÃ
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