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Krücken nicht gelingt, das Zimmer unerkannt zu verlassen. Ohne Verabschiedung schleicht sich später der Jüngste aus dem Zimmer und sucht die Mutter, die in der Eingangshalle des Herzzentrums auch deshalb heult, weil sie als einzige beschimpft und sogar verwechselt worden ist.
Enayatollah Sohrab muà der Onkel des Cousins in Rüdesheim sein, nicht sein Vater, wie ich dachte. Da der Enkel seine Mutter zur Zeit unmöglich nach den genauen Familienverhältnissen befragen kann, versucht er selbst, sie zu entflechten: Enayatollahs Mutter müÃte jene Tante sein, die mit einem Bahai verheiratet war und nach dem Sturm der Theologiestudenten auf ihr Haus mit den Kindern barfuà zu UrgroÃvater flüchtete. Enayatollah berichtet von einem Mob, der 1903 ihr Haus über Tage mit Steinen bewarf, nicht jedoch von einer Plünderung. Daà UrgroÃvater ihnen beigestanden hätte, erwähnt er nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob er und GroÃvater den gleichen Sommer meinen, in dem Dutzende von Bahais in Isfahan ermordet wurden. Um sich der Gunst von Agha Nadjafi und anderen reaktionären Theologen zu versichern, gab Zell-e Soltan die Bahais in mehr als nur einem Sommer zur Jagd frei. Anders als GroÃvaters Selberlebensbeschreibung haben Enayatollah Sohrabs Erinnerungen einen klaren Fokus, den der Titel bereits anzeigt: »Wie ich Bahai wurde«. Fast ausschlieÃlich geht es um die damals schon prekäre Situation der Bahais, die politischen Hintergründe der Verfolgungen und den persönlichen Glaubensweg des Verfassers. Aus seiner Zeit an der Amerikanischen Schule führt Enayatollah lediglich â und über Dutzende von Seiten â die theologischen Debatten an, die er mit Lehrern und Schülern führte, auÃerdem die Worte der Bahai-Prediger, unter anderem von Mirza NaÃm. Seinen Alltag und die Mitmenschen beschreibt Enayatollah nur, sofern sie für das Thema seines Buchs von Belang sind. Seine Mutter, da sie nicht konvertierte, wird nur am Rande erwähnt und von Doktor Jordan nur das zitiert, was dieser in einer Diskussion mit einem Bahai sagte. Enayatollah Sohrab schreibt auch ein ganz anderes Persisch als GroÃvater, mit noch mehr arabischen Wendungen und Zitaten aus dem Koran, der den Bahais als frühere Offenbarung heilig ist, mit Inbrunst und ohne Selbstzweifel. Namen nennt er selten, spricht von Cousins oder deren Vätern, führt nicht sämtliche Lehrer und Mitschüler auf und ob sie verstorben sind. Trotz des beseelten Tons eines Erweckungsbuchs, der das Gemüt von Hadernden überkonfessionell strapaziert, vermittelt sich die Faszination, die die neue Religion auf viele, vor allem die gebildeten Muslime ausübte. Auf der einen Seite sahen sie ihre eigene Religion mit einer fortschrittsfeindlichen Geistlichkeit, unmoralisch scheinenden Praktiken wie der Zeitehe, grausamen Strafen wie der Steinigung, abstoÃenden Riten wie den blutigen BuÃprozessionen und Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, auf der anderen Seite die farangihâ , »die Franken«, die elektrisches Licht, Krankenhäuser und Eisenbahnen ins Land brachten, all die spektakulären Errungenschaften der neuen Zeit. Die Ãberlegenheit der westlichen Zivilisation erlebten die Jugendlichen jeden Tag in den Schulen, sie spürten sie auf ihrer Haut, wie GroÃvater und sein Cousin Enayatollah Sohrab übereinstimmend berichten: hier die engen, düsteren, oft schmutzigen Koranschulen, in denen die Schüler auf stures Auswendiglernen getrimmt wurden und Erziehung im wesentlichen darin bestand, sie bei Fehlern auf die Bastonade zu spannen, dort die hellen Klassenräume in modernen Gebäuden, mit Tischen, Stühlen und Lehrbüchern in verständlicher Sprache, nicht auf arabisch oder im literarischen Persisch. Die Schüler lernten Fremdsprachen, Geographie, Biologie, überhaupt die weltlichen Wissenschaften, und wurden nicht wegen jeder Kleinigkeit verprügelt, im Gegenteil: Die Lehrer diktierten nicht nur, sie sprachen mit den Schülern; sie erteilten nicht nur Vorschriften, sie hörten ihnen auch zu. GroÃvaters maktab war eine Ausnahme; der erstaunliche Mullah Mirza Mohammad wollte den Kindern mehr als nur die Pflichten des Gläubigen und Untertanen beibringen, er wollte die Grundlagen legen, damit sie sich später zu aufgeklärten, republikanisch gesinnten Bürgern heranbilden. Die verhaÃte Bastonade stand gleichwohl auch in
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