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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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seinem Zimmer und wurde selbstverständlich benutzt. Es gab in Isfahan die ersten weltlich ausgerichteten Schulen wie die Eslamiye oder die Aliye, die Großvater nach dem maktab besuchte, oft gegründet von einheimischen Intellektuellen, die sich mit der Misere ihres Landes nicht abfanden. Aber auch ihr Modell waren die westlichen Schulen, deren Niveau sie noch viele Jahre nicht erreichen sollten. Das Modell war der Westen, der zugleich für die Ausbeutung des Landes stand und der verrotteten Monarchie der Kadscharen künstlich das Leben verlängerte. Briten, Russen und Belgier unternahmen alles, um die Konstitutionelle Revolution zu torpedieren, mit der sich die Iraner elf Jahre vor den Deutschen und siebzig Jahre vor den Portugiesen eine demokratische Verfassung, Gewaltenteilung und das allgemeine Wahlrecht erkämpften. Nicht zuletzt wegen der Heuchelei des Westens, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit für sich zu beanspruchen und bei anderen zu hintertreiben, den doppelten Standards, wie man heute sagen würde, stieß der Glaube, den die Missionare verkündeten, auf wenig Widerhall. Junge Leute wie Großvater oder die Brüder Sohrab wollten modern sein, nicht westlich. Daß modern und westlich das gleiche sei, mochten sie nicht akzeptieren. Das Christentum der protestantischen Missionare – das mit der orthodoxen Glaubenspraxis der einheimischen Christen wenig verband – blieb in den Augen der meisten Iraner etwas Fremdes, das die vertrauten Riten und Lehren rundherum verwarf und politisch zudem mit den Kolonialmächten in Verbindung stand. Die Bahais hingegen schienen einen originär iranischen Weg der religiösen Aufklärung und wissenschaftlichen Vernunft gefunden zu haben, der an den Koran anknüpfte, den Propheten Mohammad anerkannte, die Imame respektierte und dennoch in jene Zivilisiertheit führte, die die Franken verkörperten. Aus dem Glauben an die Einheit von Gott, der Religionen und der Menschheit leitete der Bahaismus einen universalen Humanismus ab, der den Weltfrieden predigte, die Gleichberechtigung der Geschlechter vertrat, in der Erziehung die Prügelstrafe ablehnte und sich gegen Armut, jedweden Rassismus und völkischen Überlegenheitsdünkel wandte. Die Forderungen nach einem Weltparlament, einer Weltregierung, einer internationalen Justiz und einer gemeinsamen Weltsprache müssen vielen gutwilligen Iranern eingeleuchtet haben, denen der Westen ebenso anziehend wie ausbeuterisch erschien. In den Büchern und Broschüren, die der Cousin aus Rüdesheim beigelegt hat, klingt vieles für mich banal, im Ton vernunftbetonter Spiritualität und apodiktischer Gewißheit vielleicht am ehesten mit den Schriften Rudolf Steiners vergleichbar, aber Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war die Welt noch weit entfernt von einem Völkerbund, einem Internationalen Strafgerichtshof und der Internationalen Erklärung der Menschenrechte; die Kolonien hatten sich noch nicht befreit, viele Länder verstiegen sich zu einem aggressiven Nationalismus. Damals muß der gewaltlose Universalismus Bahaóllahs und Abdulbahas ebenso revolutionär wie überzeugend gewirkt haben. Hinzu kommt, daß nicht alle Missionsschulen über einen Direktor wie Doktor Jordan verfügten, dem es wichtiger war, die Kinder zu guten Menschen zu erziehen als zu guten Christen. Die meisten und zumal die britischen Einrichtungen, so auch die Bischofsschule in Isfahan, an der Mister Allanson unterrichtete, interpretierten den Missionsauftrag sehr viel konkreter und übten psychischen Druck auf die Kinder aus, sich zum Christentum zu bekehren, wie Enayotallah Sohrab in Übereinstimmung mit den Geschichtsbüchern berichtet, die die Frau mir ins Bergische Land gebracht hat, weil es näher am Herzzentrum liegt. Die Muslime schien das nicht sonderlich zu stören. Erst als das Gerücht aufkam, die Bahais versuchten ihre muslimischen Kameraden zu missionieren, wurde die Bischofsschule auf Druck der muslimischen Eltern und der Geistlichkeit für einige Zeit geschlossen. – Aber die Christen reden doch schon die ganze Zeit schlecht über den Islam und versuchen, die Schüler für ihre Religion zu gewinnen, wunderte sich Enayotallah Sohrab und fragte seinen Vater: Warum hat das niemanden gestört? – Weil die Christen ohnehin keinen Erfolg haben, antwortete sein Vater. Anders als später von den Lehrern der Amerikanischen Schule hat

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