Dein Name
hat der Vater schon öfter an ihr bemerkt. Die haben St. Gereon und wir den Schuppen hinter einer Turnhalle. Daà sein Bezug zur Tradition künstlich war, nachträglich konstruiert, übersah Kafka im Unterschied zu heutigen Kulturalisten nicht. In den wirklichen Jeschiwes, den Talmudschulen, herrschte ein unerträglicher Gestank, weil »die Studenten, die keine eigentlichen Betten hatten, wo sie gerade zuletzt saÃen, ohne sich auszuziehn, in ihren verschwitzten Kleidern zum Schlaf niederlegten«, notierte er drei Monate später merklich befremdet. Er bildete sich nicht ein, zu den Juden zu gehören, in einem jüdischen Land zu Hause sein zu können, und begeisterte sich anders als seine Freunde nie für den Zionismus: »Was habe ich mit den Juden gemeinsam?« fragte er sich selbst: »Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam und sollte mich ganz still, zufrieden damit, daà ich atmen kann, in einen Winkel stellen.« Als die Feindseligkeit immer bedrohlicher wurde â Mitte November 1920: »Den ganzen Nachmittag bin ich jetzt auf den Gassen und bade im Judenhaë â, fragte er sich nur: »Ist es nicht das Selbstverständliche, daà man dort weggeht, wo man so gehaÃt wird (Zionismus oder Volksgefühl ist dafür gar nicht nötig)? Das Heldentum, das darin besteht doch zu bleiben, ist jenes der Schaben, die auch nicht aus dem Badezimmer auszurotten sind.« Kafkas Verhältnis zum Judentum war nicht naiv. Aber anders als zu den Nationalstaaten, die in Frage gekommen wären, wurde es immerhin ein Verhältnis. Was ihn etwa mit Deutschland verband, faÃt der berühmte Tagebucheintrag des 2. August 1914 zusammen: »Deutschland hat RuÃland den Krieg erklärt. Nachmittag Schwimmschule.« Vier Tage später widmet Kafka dem politischen Geschehen noch einmal einen kleinen Eintrag, als er einen patriotischen Umzug deutschsprachiger Prager erwähnt: »Ich stehe dabei mit meinem bösen Blick.« Und danach: nichts. Die politischen Entwicklungen in Deutschland interessieren Kafka nicht weiter, der sich mit anderen gesellschaftlichen Vorgängen und Ländern durchaus beschäftigt. Jedenfalls erwähnt er Deutschland fast nicht, weder in seinen Briefen noch in seinen Tagebüchern, nicht vor, nicht während, nicht nach dem Ersten Weltkrieg. Selbst als Kafka im September 1923 nach Berlin zog, blieb er ein Fremder, lebte in der abgeschiedenen Welt von Stieglitz fern des gesellschaftlichen und politischen Geschehens. »Du muÃt auch bedenken«, schrieb er an Max Brod, »daà ich hier halb ländlich lebe, weder unter dem grausamen, noch aber unter dem pädagogischen Druck des eigentlichen Berlin.« In Deutschland angekommen, setzt er sein »Prager Leben« fort. Mit Dora Diamant studierte er Hebräisch, phantasierte über Palästina-Pläne, unterwarf sich â mehr versuchsweise â dem jüdischen Gesetz und war eher in jüdischen Lehrhäusern als in Theatern oder Opernhäusern anzutreffen, schon weil er sich die Eintrittskarten für Theater und Kino kaum leisten konnte. Er lebte in Deutschland, ohne in Deutschland zu leben. Er lebte in einer Parallelgesellschaft. Die wenigen Fahrten nach Berlin-Mitte erschienen Kafka wie ein persönliches »Golgatha«, nicht weil er Berlin verachtete, sondern weil es ihn nicht betraf. Und doch betitelte Milena Jesenská ihren Nachruf wie selbstverständlich und richtigerweise: »Dr. Franz Kafka, ein deutscher Schriftsteller«. Die Motive und Erzählstrategien aus der jüdischen Tradition, die zu ermitteln heutige Interpreten so erpicht sind, sind für Kafkas Werk nicht annähernd so wichtig wie seine erklärten Vorläufer in der deutschen Literatur. Das Judentum steht nicht am Anfang von Kafkas schriftstellerischer Biographie, sondern tritt als eine Motivwelt, die er sich in erwachsenem Alter aneignet und bewuÃt verwendet, später hinzu. Kafkas geistige Heimat ist die deutsche Literatur. Wenn er Goethe, Kleist oder Stifter erwähnt, dann nicht nur kenntnisreich, sondern mit einem Enthusiasmus, wie er in Kafkas Werk selten offenbar wird. Wenn er im Tagebuch oder den Octavheften über einzelne Wendungen und Problemfälle der deutschen Sprache nachdenkt, dann mit einer Präzision, von der heutige Sprachwächter nur lernen können. Die Moschee, die sie in Ehrenfeld bauen, werde bestimmt richtig schön, sagt die Ãltere.
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