Dein Name
zündet die Bombe in Gestalt einer Mail wahrscheinlich oder eines Briefes, sie explodiert, sprengt die bisherigen Verhältnisse aufs glücklichste â aber nichts passiert, überhaupt nichts, die Bombe geht hoch, aber der Musiker merkt es nicht einmal, den bereits anderes Feuer verbrannt. Gott schütze dich. Gott schütze dich auch. In Kermanschah muÃte GroÃvater eine Woche warten, bis eine Kutsche nach Bagdad fuhr, wo er sich von seinem alten Französischlehrer SaÃd Efendi verabschiedete, um sich in den Heiligtümern des nahe gelegenen Kazemeyn dem FüÃeküssen der Imame Musa al-Kazim und Mohammad al-Djawwad zu widmen, wie man den Pilgerbesuch auf persisch nennt. Von dort pilgerte er weiter nach Kerbela, be Kerbalâ moscharraf schodam , wie man den Besuch der heiligen Stätte ebenfalls nennt, GroÃvater beehrte nicht Kerbela, sondern beehrte sich selbst durch den Besuch. Im Schrein des Imam Hossein begegnete er seinem Schulkameraden Mirza Abdolhossein von der Eslamiye-Schule in Isfahan, Sohn eines berühmten schiitischen Trauersängers und Nachfahre des Propheten, dessen Ãrmel er bis Samara nicht mehr loslieÃ, wie GroÃvater es nennt. Das mit dem Ãrmel stelle ich mir einigermaÃen wörtlich vor, denn unter den anderen iranischen Pilgern im Irak war die Freundschaft der beiden jungen Isfahanis bald Gegenstand halb gerührter, halb amüsierter Essens- und Teegespräche. Ewig würde sie halten, war GroÃvater sicher, um beinahe sechzig Jahre später zu schreiben: »Seitdem habe ich ihn nie mehr gesehen, und ich habe nicht die geringste Ahnung, was aus ihm wurde. Wenn er noch in den Fesseln der irdischen Existenz steckt, möge Gott ihm seine Gesundheit bewahren und seine Erfolge vermehren. Wenn er über mich Unrühmlichen den Sieg davongetragen hat und durch das Tor der Ewigkeit vorgeprescht ist, dann tröstet mich immerhin die GewiÃheit, daà seine Wohltaten ihn schützen und seine Dienste für seine Auferstehung sorgen.«
Die Reportage über Kaschmir hat er vorerst beiseite gelegt, weil er nicht vorankam und sonst mit dem Vortrag über Integration in Verzug geraten würde, den er, besäÃe er die Nerven, in achtzig Städten gutbezahlt halten könnte, so versessen sind die Deutschen auf ihre Wilden. Er wird sich wahrscheinlich für die abgeklärte, freundliche Lesart der hiesigen Verhältnisse entscheiden, weil sie ihm in Indien nicht eben wichtiger geworden sind. Was soll er andere aufregen, wenn er selbst sich nicht aufregt, und mit welchem Recht sich über Europa beschweren, wenn er gerade aus Gujarat zurückgekehrt ist? Mehr ärgert ihn, daà er seine Eindrücke aus Kaschmir nicht zu fassen kriegt, die wichtig sind, egal ob sich jemand dafür interessiert. Er hat sich in alle Länder verliebt, über die er berichtete, aber mit Kaschmir ist es anders, mit Kaschmir ist es, als habe er an einem Geheimnis teil; wahrscheinlich fällt es ihm deswegen schwer, die Reportage zu schreiben, die nicht aufgeregt klingen darf, um aufzuregen, verflucht sich und seine Tage wie üblich, wenn er vor dem Computer wie vor einer Wand sitzt, an der jeder Satz abprallt. Die zwei Seiten, für die er drei Tage benötigte, bestehen nicht gegen die Notizen, die er auf der Veranda des Hausboots nachts oder frühmorgens unter der Bettdecke, auf dem Rücksitz einer Staatskarosse oder in der Abflughalle fiebrig getippt. Schon die beiden Artikel über Gujarat und die Bewegung der Landlosen sind beinah vollständig als copy & paste entstanden, genau wie letztes Jahr das Afghanistanstück und fast alles, was er noch veröffentlicht, seit er den Roman begann, den ich schreibe. Ebensowenig wie die Reportage will ihm die ordentliche Einladung auf Papier mit Babyphoto und lustigen Sprüchen gelingen, so daà er jedem Freund, Verwandten oder Lehrer nun eine persönliche Mail, den Ãlteren einen kurzen Brief schrieb, ohne daà es ihm lang wurde, sich der Reihe nach den Menschen zu widmen, die sein Leben sind. Ob er die surreale Maschinerie einer Festvorbereitung auch ohne den Roman in Gang gesetzt hätte, den ich schreibe? Ich meine damit nicht, daà er ein Fest inszeniert, um darüber zu berichten. Um gar nicht erst in Versuchung zu geraten, hat er sich die Verwertung von vornherein verboten. Es geht eher um die Achtsamkeit und Geduld, die ihm In Frieden aufgetragen ist, die
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