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Wertschätzung oder, wiederhol erâs doch: Dankbarkeit, weil er sonst auch schon so fromm geworden ist. Er trat vors Haus, um die Briefe in den Briefkasten zu werfen, der sonntags ohnehin nicht geleert wird, und schaute in der Kneipe vorbei, die nüchtern nicht auszuhalten war, die Theke besetzt, die Griffe der Besoffenen an seinem Oberarm, die die Laufrichtung wechselten, das Zuprosten älterer Frauen mit gläsernen Augen, auf das er mit einem Lächeln reagierte, das ausreichend gequält wirken sollte, um nur ja keinen Anknüpfungspunkt zu bieten, die Musik so laut aufgedreht, daà alle brüllten. »Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt«, stand als Trinkspruch an der Tafel, »auf die â von den Ingenieursgesichtern und Betriebswissenschaftlern herbeigeführte â derzeitige Beschaffenheit unserer Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren.« Die Direktrice, die er fragte, wo sie stecke, simste zurück, daà sie ins Kino wolle, ohne zurückzufragen, ob er mitkommt. Um einen anderen Grund zu haben, die Kneipe zu verlassen, ohne an den Schreibtisch zurückzukehren, fuhr er einen der Betrunkenen nach Hause, der sonst zu Fuà nach Sülz aufgebrochen wäre, aber wo steht eigentlich mein Auto? Als sie es eine halbe Stunde später ausgerechnet vor einem Brauhaus fanden, wollte der Betrunkene sich noch mit einem Kölsch für die Heimfahrt bedanken. Das verbietet mein Glaube, schob ihn der einzig Nüchterne im Viertel auf den Beifahrersitz. Auf dem Hinweg die jungen Menschen und schwarzen Sportwagen, die Samstag nacht auf dem Ring von Jahr zu Jahr zahlreicher werden, ein Stau wie zur StoÃzeit, was auch das Anliegen der Fahrer bezeichnet, auf dem Rückweg die Landlosen, die in den Mülleimern wühlten. Einer, der sich etwas zum Essen gefischt hatte, schmià es nach dem ersten Bià angeekelt gegen den BMW , obwohl der blau ist und ein Kombi. Um 1:48 Uhr hat der Romanschreiber am Sonntag, dem 11. November 2007, den Sensorenblocker geschluckt, die ihn gegen die Kopfschmerzen eines samstäglichen Kneipenbesuchs wappnen sollen.
Am Donnerstag, dem 15. November 2007, sitzt er um 22:36 Uhr mit vier anderen Männern im Gepäckwagen des Nachtzugs nach Hamburg-Altona, weil die einzige Abendverbindung von Basel nach Köln, die der Notfahrplan im Internet anzeigte, kurzfristig ebenfalls ausfiel. Die deutschen Lokführer streiken, mit Unterbrechungen seit dem Sommer schon das andere groÃe Thema in Deutschland, und das mit Abstand beste daran ist, daà der pfeifenrauchende Gewerkschaftschef inmitten der Aufregung, der Bahnchef tobte, der Verkehrsminister warnte, die Bundeskanzlerin appellierte, die Opposition schimpfte, die Arbeitgeber klagten, die Europäische Kommission mahnte, die Reisenden steckten fest, die Zeitungskästen explodierten, die Ruhe besaÃ, mit seiner Frau in Kur zu fahren â ohne Handy. Der Handlungsreisende las steuerfrei in einem Dorf bei Basel, erste Reihe Mitte ein Mann, der durchschlief, dafür zwei Reihen dahinter eine WeiÃhaarige, deren wacher Blick Halt bot, und die anderen zwölf Zuhörer in dem Hobbykeller mit Theke, den die Gemeinde für kleinere Veranstaltungen nutzt, waren ebenfalls in Ordnung, obschon nicht zum Lachen aufgelegt, wie der Handlungsreisende bei der dritten Pointe einsah. Nein, es waren zweiundzwanzig Zuhörer einschlieÃlich der Veranstalter. Er weià die Zahl so genau, weil der Moderator abstimmen lieÃ, aus welchem der Romane gelesen werden solle, wie der Handlungsreisende sie früher schrieb. Schon die Anreise war erfreulich, weil er endlich zu begreifen glaubte, warum die »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daà kein Gott sei« beinah unverbunden ist mit dem Roman, dem sie angehört. Man muà jenes gesagt haben, um dieses sagen zu können. Allein, warum jenes so lang? Eine so unerhört fade Handlung â was heiÃt Handlung?, Siebenkäs und seine Lenette führen über Hunderte Seiten die denkbar kläglichste Ehe â hat selten einer gewagt. Der Handlungsreisende hielt sich an die Digressionen, die wieder so zahlreich sind, daà sie allein jeden Anflug von Spannung vertrieben hätten, den es ohnehin nicht gab. Einmal beendet Jean Paul eine Abschweifung mit einer Abschweifung, ein andermal schimpft er, daà nichts einer Geschichte mehr schade als die Geschichte, da man sich dadurch den Platz für die
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