Dein Name
lieben Mitbewohner meiner Stadt Isfahan, mir im Falle, daà sie es für richtig befinden und diesen Sklaven für geeignet halten, diese ehrenvolle Aufgabe zu erfüllen, ihre Stimme geben können.« GroÃvater trat zur Wahl, um die er mit zehnzeiligen Sätzen kämpfte, nicht an. Weil er sich mit jemandem zerstritt oder die Parteien, die ihn nominiert hatten, sich untereinander zerstritten, zog er die Kandidatur zurück, zutiefst getroffen, wie es seine Art war. Das war mein GroÃvater: sein bedeutendstes Amt stellvertretender Filialleiter einer Bank, seine bedeutendste öffentliche Rolle eine vorzeitig zurückgezogene Kandidatur für den Wahlkreis Isfahan bei den iranischen Parlamentswahlen Anfang der fünfziger Jahre. Das ist nicht wenig, in seiner Zeit und seiner Stadt gehörte er, wenn auch zum vielleicht gröÃeren Teil wegen seines Vaters, zu den geachteten Persönlichkeiten. Vor der Geschichte ist es beim besten Willen nichts, nicht einmal für die iranische Geschichte, nicht einmal für die Geschichte Isfahans. Allenfalls könnte ihn eine Stadtchronik des zwanzigsten Jahrhunderts in einer FuÃnote oder Namenliste anführen, wenngleich nicht einmal das wahrscheinlich erscheint, schlieÃlich war er kein Kandidat, schlieÃlich war er kein Direktor, schlieÃlich war er nur Sohn. Wieso ich mich mit ihm beschäftige, muà ich einmal gewuÃt haben. Weiter: Die Zeit am Persischen Golf, die nicht lang gewesen sein kann, schildert GroÃvater auf vierunddreiÃig Seiten. Keiner Station seines Lebens räumt er mehr Platz ein. Wer sich für die belgisch-iranischen Beziehungen im zwanzigsten Jahrhundert oder noch präziser für die kaum je untersuchte Arbeit der belgischen Zöllner am Persischen Golf gegen Ende der Kadscharen-Dynastie interessiert, stieÃe auf eine überraschend ergiebige Quelle. Ich lese bereits im zweiten Absatz, daà GroÃvater sich wieder mit jemanden überwirft, nein, selbstverständlich jemand mit ihm.
Der Mutter, die bis vor ein, zwei Jahren mehr Ausdauer hatte und noch immer gröÃeren Bewegungsdrang spürt als die vier Söhne zusammen, wurde heute schwere Arthrose diagnostiziert. Morgen sagt ihr der Orthopäde, was er tun kann, wahrscheinlich nichts. Seit Wochen kann sie das Knie nicht heben, den Jüngsten deshalb auch nicht besuchen, der in der vierten Etage wohnt, Altbau. Bis dahin ist sie noch wegen jeder Tüte Altpapier, die sie unbemerkt füllte, ein zweites und drittes Mal die Treppen gestiegen, gegen seinen Protest, versteht sich, Streit im Treppenhaus, Mama, wehe, Sie kommen noch einmal nach oben, das geht dich nichts an, geben Sie mir die Tüte, sag mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe, jetzt geben Sie schon her!, das darf doch wohl nicht wahr sein!, ich lasse es nicht zu, daà Sie meinen Müll tragen!, so sprichst du nicht mit mir!, hin und her in voller Lautstärke, ob ein Sohn so mit seiner Mutter sprechen darf oder verhindern muÃ, daà sie den Müll trägt. »Gestern fiel mir ein, daà ich die Mutter nur deshalb nicht immer so geliebt habe, wie sie es verdiente und wie ich es könnte, weil mich die deutsche Sprache daran gehindert hat«, bedauerte Franz Kafka am 24. Oktober 1911 im Tagebuch: »Die jüdische Mutter ist keine âºMutterâ¹, die Mutterbezeichnung macht sie ein wenig komisch (nicht sich selbst, weil wir in Deutschland sind), wir geben einer jüdischen Frau den Namen deutsche Mutter, vergessen aber den Widerspruch, der desto schwerer sich ins Gefühl einsenkt. âºMutterâ¹ ist für den Juden besonders deutsch, es enthält unbewuÃt neben dem christlichen Glanz auch christliche Kälte, die mit Mutter benannte jüdische Frau wird daher nicht nur komisch, sondern fremd. Mama wäre ein besserer Name, wenn man nur hinter ihm nicht âºMutterâ¹ sich vorstellte. Ich glaube, daà nur noch Erinnerungen an das Getto die jüdische Familie erhalten, denn auch das Wort Vater meint bei weitem den jüdischen Vater nicht.« Auf einen Meniskusschaden, der sich operativ vielleicht beheben lieÃe, hatte der Orthopäde beinah gehofft, Hauptsache, es würde nicht so bleiben, nicht diese Schmerzen. Das wird die erste Feier sein, auf der sie nicht tanzt, dabei hatte der Jüngste eigens für sie persischen Pop auf den Laptop geladen. Den Vater werden sie ebenfalls das Stadttor hochtragen müssen, das er
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