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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Dunkelheit schon gehen, die Postkutschenstation lag gleich hinterm Paß. Der Rückweg hingegen war zu weit, und eine Nacht in dieser Kälte würden weder Menschen noch Pferde überleben.
    Â»Vor anderthalb Jahren stieß ich auf eine ermäßigte Ausgabe von Hölderlins sämtlichen Werken, die Sie herausgegeben haben. Als Jüngerer hatte ich nichts von der Diskussion um Ihre Arbeit gehört, kannte Hölderlin auch nur aus zwei Bänden, die ich mir als Student in der damaligen DDR billig besorgt hatte. Ihre Ausgabe hat mich das Lesen neu gelehrt, nicht nur das Lesen Hölderlins. / Inzwischen habe ich mich natürlich erkundigt und einiges gelesen, was zu Ihnen und manchmal gegen Sie in der Presse erschienen ist. Mit dem Abstand, den ich qua Geburtsjahr und literarischer Prägung habe, soll ich einen Artikel über Ihre Edition und Sie schreiben. Dafür würde ich Sie gern im Laufe des Januar besuchen – falls Sie einverstanden sind. / Da ich im Februar für ein knappes Jahr nach Rom ziehe, wäre ein späterer Besuch erst im Jahr 2009 möglich.« Auf dem Schreibtisch liegen ausgeschüttet die Zettel, Prospekte, Einladungen und Mitteilungen, die sich in der Ablage angesammelt hatten, ein Fragebogen der Deutschen Rentenanstalt, Protokolle von Konferenzen, der Ablauf von Festivals, Anfahrtsskizzen, Briefe wie der einer Gymnasiastin aus Lübeck. »Verzeihen Sie«, schreibt er ihr copy & paste zurück, was angefangen mit Gott alle Romanschreiber ihren Leser antworten, wenn ihnen nichts Besseres einfällt, »daß ich erst jetzt auf Ihren Brief vom 10. Mai reagiere. / Ich kann gut verstehen, daß Sie all diese Fragen haben, die jede für sich berechtigt sind, indes vermag ich sie nicht zu beantworten. Ich schreibe gerade deswegen Bücher, damit sie Fragen aufwerfen, auf die sich die Antworten je nach Leser oder Leserin unterscheiden. Jedes Buch, das etwas taugt, ist erst in der Lektüre zu Ende geschrieben. Um so mehr freue ich mich, daß mein Buch Ihnen offenbar etwas gesagt hat. Sie ahnen nicht, wie wichtig es ist, das gelegentlich zu erfahren, wenn man tagein, tagaus allein vor dem Computer sitzt. / Beantworten kann ich nur die biographische Frage: Ja, das Thema hat mich natürlich schon vor dem Roman beschäftigt, aber je älter ich werde, desto gegenwärtiger wird der Tod. Das liegt wahrscheinlich weniger an meiner eigenen Sterblichkeit; so alt bin ich als gerade Vierzigjähriger nun auch nicht. Es ist mit meinem Alter nur so, daß die Freunde und Verwandten zu sterben beginnen. So absurd es für Sie klingen muß, glaube ich, daß man das nicht hinnehmen sollte.« Zwischen den Erledigungen freute er sich daran, daß alles Angenehme außer dem Meer so nah ist, ein Schwimmbecken, in dem er allein seine Bahnen zieht, im selben Gebäude ein frisch und schnell zubereitetes Gemüsecurry für 4,50 Euro, überhaupt die Welt, die sich im Viertel auf achthundert mal fünfhundert Meter drängt, die Kinos, der Rhein, jede Kneipe eine Botschaft bei den Vereinten Nationen und von der Kunstschule bis zum Jazzhaus die einmaligen Möglichkeiten für die Kinder, fünf Fahrradminuten entfernt der Dom, die Philharmonie, Theater, Museen und Buchhändler nicht nur der Türke neben dem Stadttor, Zeit also, den Schreibtisch aufzuräumen, die Bücher ins Regal zu stellen, die restlichen Briefe zu beantworten, die aufbewahrten Aufsätze und Artikel in ein anderes Fach zu legen, wo er sie wieder nicht lesen wird, die Rechnungen zu bezahlen, die Quittungen zu ordnen, den Fragebogen der Deutschen Rentenanstalt auszufüllen, Totenbuch2007–2.doc an den Verleger zu mailen und fortzugehen.
    Der nigerianische Wirt, der dreihundert Meter entfernt ins Viertel jenseits der Hauptstraße gezogen ist, begrüßt den früheren Nachbarn mit Handschlag. Das alte Lokal war eine Eckkneipe, Vater Rhein , die der Wirt mitsamt des Mobiliars, des Dekors, der Gläser übernommen hatte, neu allein die Musik, die geheimnisvollen Speisen, vor allem gekochtes Fleisch in dunkler Soße mit Reis und gebratenen Bananen, unter dem Teller eine Plastikschüssel mit Seife und Handtuch zum Händewaschen, das Guinness in Flaschen, das in Zentralafrika offenbar vom Kolonialismus übriggeblieben ist, der Fernseher lautlos mit Sport- oder amerikanischem Nachrichtenkanal, neu die Hautfarbe der Gäste, die Verkehrssprachen Englisch und

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