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erinnert sie an die Wendung zum Glück, die das Jahr nahm. Der zweite Grund, nicht schlafen zu können, war die Mitteilung des Jüngsten, GroÃvaters Selberlebensbeschreibung zu lesen. Der Jüngste hatte es mehrmals angedeutet, ohne jedoch nach Details zu fragen wie an Weihnachten 2007. Im Haus der GroÃeltern in Isfahan, ja, nach der Revolution, als die StraÃen noch nach Königen benannt waren, ganz bestimmt, habe sie oft gesehen, wie GroÃvater schrieb, an dem kleinen Schreibtisch in seinem Zimmer oder aufgerichtet im Bett. Niemand habe seiner Arbeit Bedeutung beigemessen, GroÃmutter sich sogar mokiert, wie es ihre Art war. Sentiment hatte sie nur für Menschen übrig, nicht für Werke. GroÃvater selbst schrieb mit groÃem Eifer, weshalb es ihn später auch so sehr enttäuschte, daà sein gelehrtester Freund davon abriet, das Manuskript einem Verlag vorzulegen. Nur vier Exemplare lieà die Tante anfertigen, für sich selbst, ihre Geschwister und eins für die Töchter des verstorbenen Onkels Mahmud in Kanada; also haben auÃer dem gelehrtesten nicht einmal GroÃvaters Freunde das Manuskript gelesen, hat niemand die Zeit wertgeschätzt, weder des Lebens noch seiner Beschreibung. Und fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahre später liest ihr eigener Sohn, der inzwischen Schriftsteller geworden ist â und niemand ist stolzer auf seinen Erfolg und skrupelloser darin, ihn zu übertreiben â, Schriftsteller geworden in einem anderen Land, in einer anderen Sprache, ist Mitglied dieser Akademie, was praktisch dem Nobelpreis entspricht, ist im Fernsehen und groà mit Photo in den Zeitungen, liest die Selberlebensbeschreibung auf persisch, kann sie auf persisch lesen, was sie ihm anfangs nicht einmal abnahm, wie der Jüngste Weihnachten 2007 merkte, und sie denkt, das sagt sie an Neujahr 2008 wörtlich, sie denkt genau das, was der Sohn ebenfalls denkt, sie denkt, daà es vielleicht doch von Bedeutung war, woran ihr Vater tagein, tagaus arbeitete, kurz bevor er starb. Vor ein paar Jahren interessierte sich eine Journalistin für ihre Biographie, die daraus ein Buch machen wollte, Geschichte einer muslimischen Einwanderin. Nach einigen Interviews lieà die Journalistin wahrscheinlich auch deshalb von ihrem Vorhaben ab, weil die Söhne miÃmutig auf die Kapitel reagierten, die sie zur Probe vorgelegt hatte. Keiner wollte seine Biographie für das Islamregal der Buchhandlungen verwendet sehen. â Ich hätte doch Pseudonyme verwenden können, sagt die Mutter vorwurfsvoll, niemand hätte euch erkannt. Der Jüngste erklärt, daà die Journalistin ein Rührstück aus ihrem Leben gemacht hätte, um es zu verkaufen, das Drama einer Muslimin against all odds , wobei der Vater und die Söhne für den Part der Widerstände zuständig gewesen wären. Ach was, widerspricht die Mutter, die sei so nett gewesen, aber der Jüngste merkt, daà sie seinen Einwand nicht vollständig verwirft. Niemals im Leben habe sie jemand zu etwas ermutigt, am wenigsten ihr Mann, und sie begann, die ewigen Beispiele aufzuzählen, vom Studium der Literatur, von dem er sie abhielt, weil er nach Deutschland ziehen wollte, bis zu den Ãbersetzungen aus den Büchern des Jüngsten, die zu veröffentlichen der Jüngste selbst hintertrieb â niemand habe sie ermutigt auÃer ihr Vater. Als junges Mädchen führte sie Tagebuch. Bevor sie auswanderten, bat sie ihren Onkel oder Cousin, die Hefte aufzubewahren. Später wollte sie sie zurückhaben, da hatte er sie verbrannt. Er habe die Tagebücher gelesen, teilte der Onkel oder Cousin mit, und es für besser gehalten, wenn sie nicht mehr existierten. â Wie weise! wirft der Vater mit seiner kratzigen Stimme ein, die sich wohl nie mehr vom Beatmungsgerät erholt. Jetzt sei ihr der Gedanke gekommen, daà sie einfach schreiben solle, ihr eigenes Leben aufschreiben, egal für wen, nicht für eine Deutsche oder ein Buch, sondern auf persisch, nur für sich und wen auch immer. Nachdem ihr Bruder gestorben war, Onkel Mahmud, sei sie völlig hilflos gewesen, allein zu Hause häufig in regelrechter Panik, sprang aus dem Fenster zum Garten, lief in den Wald, kehrte nicht zurück bis abends spät. In der Zeit habe sie angefangen, Gedichte zu schreiben, und das sei das einzige gewesen, was sie allmählich beruhigte. Fast zwei Jahre habe sie Schwarz getragen, bis
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