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der Arzt und Geistliche der Familie in Siegen, Sohn eines berühmten Ajatollahs aus Aserbaidschan, sie eines Tages auf der StraÃe angehalten und aufgefordert, nein, ihr befohlen habe, das Schwarz endlich abzulegen, das Leben gehe weiter. Zur Sicherheit habe der Arzt und Geistliche noch am gleichen Abend bei ihnen zu Hause geklingelt und sich alle schwarzen Kleidungsstücke aushändigen lassen. GroÃmutter sei stolz auf sie gewesen und habe die Gedichte für die übrigen Verwandten vervielfältigt, alle hätten das Talent der Mutter gerühmt. In jedem Brief habe GroÃmutter um neue Gedichte gebeten. Jetzt nannte eine Nichte, Tochter des Internisten, die Mutter in einem Brief »Dichterin« â Oma, die Dichterin, oder so ähnlich. Auf die Anrede muà die Nichte von den Tanten gebracht worden sein, ihren GroÃtanten, die sie im Sommer auf der reunion in Amerika getroffen hatte, denn die Mutter selbst sprach nie davon. Sie habe sich so sehr gefreut, sagt die Mutter am Wohnzimmertisch, eine Dichterin genannt zu werden. Sie fragt nicht, ob der Jüngste etwas vorhabe mit GroÃvaters Selberlebensbeschreibung, so nah die Frage liegt. Eine Antwort wüÃte er nicht, beziehungsweise lautete die Antwort im Augenblick nein. Er hat noch nichts vor, er macht sich nur Notizen. Zwar hält er es für möglich, daà daraus einmal ein eigenes Buch entsteht, endlich wieder ein richtiges Buch mit Umschlag und allem, aber noch hat er keine Ahnung, wie, wann und ob die Notizen, die er sich bei der Lektüre macht, überhaupt eine andere Gestalt haben könnte als die Gestalt einzelner Blätter innerhalb eines ungestalten Romans, der die allgemeine Leserschaft ebensowenig interessiert. Er merkt nur, daà ihn die Selberlebensbeschreibung, die auch er anfangs geringschätzte, seit Wochen mehr beschäftigt als alles, was um ihn herum passiert und er sonst derzeit tut, die Vorträge, Auftragsmanuskripte, der bevorstehende Salon mit Arnold Stadler, die Vorbereitungen für Italien, die Bücher, die er mitnimmt, weil er nicht das ganze Jahr Jean Paul lesen möchte, eine Liste mit Erledigungen, Pässe, Handy, Krankenversicherung, die Schule der Ãlteren in Rom und jetzt schon das Gymnasium in Köln, auf das sie nach dem Jahr wechselt. AuÃerdem, und das ist sehr schön, haben die Gespräche mit den Eltern, auch mit dem Vater, einen neuen Ton, seit der Sohn so dezidiert fragt. Normalerweise sind um sie herum viele Leute oder läÃt sich der Jüngste abgespannt und weit weg mit den Gedanken für eine halbe, dreiviertel Stunde zwischen Schreibtisch und Abendessen blicken, wenn die Eltern für ein paar Tage in Köln sind. Selbst im Urlaub, wenn Zeit wäre, geht es selten darüber hinaus. Seit sie kostbar geworden sind, nimmt man sich vor, die Begegnungen mit ihnen auszuschöpfen, aber dann ist es doch wie immer. Speziell die Mutter hat ihm seine Schweigsamkeit oft vorgehalten. Gegenüber den Schwiegertöchtern und Enkeln hat der Jüngste sie immer verteidigt, aber ehrlich gesagt hat sie neben allen anderen Marotten tatsächlich eine komische Art des Erzählens, exaltiert, mit vielen Ãbertreibungen und selten so, daà sie auf den Punkt kommt, regelrecht nervtötend, wenn sie deutsch sprechen muÃ, weil nicht mehr alle Familienmitglieder Persisch verstehen. Es gab Ausnahmen, wenn sie allein waren, vor allem in Krisen, ihren Krisen, seinen Krisen, da waren Mutter und Sohn sich Stützen und ihre Gespräche ein Austausch, allerdings selten im letzten Jahr, das sie heillos überforderte, nein, das war nicht mehr von gleich zu gleich auÃer vielleicht auf der Fahrt zum Konsulat in Frankfurt. Selbst ihre Stimme ist jetzt anders, fällt dem Jüngsten auf, nicht mehr so hoch, und ihre Beschreibungen sind konzis wie selten. Natürlich ist auch seine Aufmerksamkeit eine andere, haben seine Fragen mehr als nur den Grund, ein Gespräch zu führen, kommentiert er ihre Antworten und äuÃert seine Ansichten. Ãber Zuneigung, Dankbarkeit, Vertrauen hinaus miÃt er ihrem Leben nicht nur für sich Bedeutung bei, sondern an sich.
Da er, zum wievielten Mal in wie vielen Monaten?, den Flughafen Frankfurt passiert hat, müÃte er bald in Mannheim sein, dann Stuttgart, in Ulm und Lindau umsteigen, Ankunft am Sonntag, dem 6. Januar 2008, um 15:43 Uhr, wo er um 17 Uhr die Rede zum Neujahrsempfang halten soll. Der rührige
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