Dein Name
mochte«, die in der Vorstellung saÃ: einige Menschen, die am Ich-Erzähler vorbeigehen, aufgenommen wie von der Kamera, die Andy Warhol an eine StraÃe in Manhattan stellte.Der Roman, den ich schreibe, hält zwar ebenfalls Alltäglichkeiten fest, doch offensichtlich unaufgebbar im Bemühen, eine Bedeutung, etwas Zeichenhaftes zu erkennen. Walser protokolliert; protokolliert durchaus erstaunliche Situationen, Dramen zwischen zwei Geliebten, einen Lahmen auf den Knien, ein Mädchen mit herabhängenden Locken und einem unbeschreiblich hübschen Röckchen, eine Frau zwischen zwei Geliebten, aber tut es absichtslos oder im Gestus des Absichtslosen, so daà zwei ältere Damen nur nach Freuden auszugehen scheinen, mehr nicht, oder ein Kind herantritt, das »noch nicht wusste, was Menschen im Leben am eifrigsten suchen«. Er sieht einen Menschen und denkt sich einen Satz. Schickte heute jemand etwas so Nebensächliches an eine Zeitung â nicht einmal der Redakteur, der sogar Abfälle veröffentlicht, würde reagieren, vermutlich nicht einmal der Abfallerzeuger selbst, wäre er Redakteur und hätte die üblichen Erwartungen im Nacken. Da ist nichts: »Die, der ich abwartete, kam nun heraus, damit war mein Dienst erledigt.« Dienst: hinschauen, wo immer man hingestellt wird, von dann bis wann. Robert Walser hat den Text am 27. September 1925 im Berliner Börsen-Courier veröffentlicht. Obwohl er seine Zeitungsbeiträge sorgfältig sammelte, wuÃte man lange nicht, daà er neben dem Berliner Tageblatt auch dessen Konkurrenzblatt beliefert hatte. So blieb viele Jahre unentdeckt, was ihm vor einem Kino in die Augen gesprungen war oder er sich ausgedacht hatte, was jemandem vor die Augen springen könnte. Die Absätze aus dem Roman, den ich schreibe, scheinen auf den hinteren Seiten des Feuilletons oder in der Wochenendbeilage genauso unbemerkt zu verschwinden; keine Leserpost, nicht der geringste Ausschlag in der Besucherstatistik der Website, keine Anfragen von Freunden, Kollegen oder aus dem Verlag, was das denn für sonderbare Themen seien, ob er an etwas GröÃerem arbeite. Dem Redakteur mailt er, daà er die Ãberschrift »Vor einem Filmkunsttheater« bevorzugt, obwohl es so einfallslos ist im Vergleich mit Jean Pauls Zwischentiteln; »Inkrustierte Kletten«, heiÃen die Kapitel in den Flegeljahren ,»Seehase«, »Pillenstein«, »Marmor mit mäusefahlen Adern«, »Projekt der Ãthermühle«, »Congeries von mäusefahlen Katzenschwänzen«, »Spätdrüse vom Schneeberg«, »Ausgestopfter Fliegenschnäpper« oder »Modell eines Hebammenstuhls«.
Nein, GroÃvater hat sie nie geschlagen, der Sohn weià gar nicht mehr, was die Mutter auf das Thema brachte, niemals, unvorstellbar wäre das gewesen. Verprügelt wurde sie nur von ihrem ältesten Bruder, aber wehe, wenn GroÃvater es erfuhr. Kinder zu schlagen scheint allerdings im Iran der dreiÃiger, vierziger Jahre weniger üblich gewesen zu sein, als der Sohn annahm. Auch der Vater ist niemals geschlagen worden. Der GroÃvater väterlicherseits hat es nur einmal versucht, berechtigterweise, wie der Vater einräumt, der die Gespräche im Siegener Wohnzimmer inzwischen ernst nimmt. Ein herrenloser Hund, mit dem er sich angefreundet hatte, fiel beim Gassigehen ein Mädchen der Nachbarschaft an. Als der GroÃvater väterlicherseits davon erfuhr, holte er zu einer Ohrfeige aus, aber der Vater rannte einfach weg. Zurück im Haus, kam er mit einer anderen Strafe davon. Es gab schon Eltern, die ihre Kinder schlugen, aber in den bürgerlichen Familien war es nicht mehr die Regel. In Iran trat der dramatische Schub der Modernisierung genau in der Zeit zwischen der Kindheit der GroÃeltern und Eltern ein. Im Vergleich damit vollzogen sich alle Entwicklungen davor und danach wie in Zeitlupe, ausgenommen die Beschleunigung in den ersten Jahren nach der Islamischen Revolution. Als GroÃvater das Alphabet lernte, gab es auÃer den Koranklassen lediglich zwei oder drei Grundschulen, die aus einem einzigen Zimmer bestanden und nur von Jungen besucht wurden, aber bereits zu GroÃvaters eigener Generation gehört die Tante des Vaters, die als erste Frau in Isfahan ein Gymnasium leitete, Chânum-e Mudir, wie wir sie bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren nannten, »Frau Direktor«. Auch das Kopftuchverbot von 1936
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