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Gut hatte sie bei den Theologiestudenten zurückgelassen, die nachts ihr Haus gestürmt hatten. Ein, zwei Tage später gingen wir zusammen mit meiner Tante und ein, zwei anderen Frauen zu dem Haus, wo sich eine Gruppe von Seminaristen auf der östlichen Veranda ausgebreitet hatte. In den Zimmern war von den Teppichen und Wertgegenständen nichts mehr übrig, ja selbst die Schlösser und Türbeschläge hatten die Seminaristen herausgeschlagen. Jahrelang hat mein Vater darum gekämpft, die gestohlenen Dinge zurückzuerhalten, und ich war selbst anwesend, als er sie schlieÃlich den Nachkommen des ursprünglichen Besitzers überreichen konnte.« Daà der GroÃvater gleich auf der zweiten Seite seiner Selberlebensbeschreibung ausgerechnet diese Episode erzählt und an ähnliche Ãbergriffe von »unwissenden und einfältigen Muslimen bis in unsre Zeit« erinnert, ist bemerkenswert. Selbst für aufgeklärte Gläubige seiner Generation waren die Babis, aus denen der Bahaismus hervorging, eine irregeleitete Sekte, von den Kolonialmächten gesteuert. Anders als gegenüber Christen, Juden und Zoroastriern konnte der GroÃvater die Toleranz nicht direkt mit dem Koran begründen, der postislamische Religionen explizit ausschlieÃt. In der Familie der Mutter hat es immer Bahais gegeben, einige leben bis heute in Isfahan. Sie kamen oft mit, wenn die GroÃfamilie nach Tschamtaghi fuhr, dem Landsitz des GroÃvaters, ohne daà über ihren Glauben gesprochen wurde oder nach der Revolution über die Hinrichtungen, die Verhaftungen, die täglichen Diskriminierungen. Nur der Enkel aus Deutschland sprach zwei-, dreimal ihre Situation an, wenngleich erst nach der Rückkehr dreizehn Jahren später, als ihm bewuÃt wurde, daà seiner Familie auch Bahais angehören. Das Thema war nicht tabu, man mochte es nur nicht. Sogar Freunden und Verwandten, die den Islam ablehnen, ist der Bahaismus suspekt. Natürlich lehnen sie ab, daà die Bahais verfolgt werden, doch tun sie es auf Nachfrage; es ist nichts, was sie von sich aus gegen die Islamische Republik vorbrächten, gegen die sonst jedes Argument recht ist. Und wenn es der Enkel aus Deutschland vorbringt, nicken die Freunde und Verwandten, um zwei, drei Sätze später zu erwähnen, daà die Bahais dem Schah nahegestanden und mit den Kolonialmächten kollaboriert hätten. Auf der StraÃe oder im Basar sind vermutlich noch ganz andere Vorurteile zu hören. Selbst sein Vater zuckte zusammen, als der Enkel eine Freundin, die Bahai ist, einmal zum Abendessen in einem persischen Restaurant mitnahm und ihren Glauben erwähnte. Als Anhänger des Premierministers Mohammad Mossadegh, der vom CIA gestürzt worden war, plagte den Vater in jungen Jahren das schlechte Gewissen, daà er für die staatliche Entwicklungsgesellschaft der Vereinigten Staaten arbeitete. Nach einem Streit mit dem Vorgesetzten, der Bahai war, kündigte er von einem auf den anderen Tag die gutbezahlte Stelle: Das ist seine Erinnerung an die Bahais, sooft man ihn fragt, sein Vorgesetzter bei der amerikanischen Entwicklungsgesellschaft, obwohl es nur ein einziger Bahai war. Der Freund, der ihm eine neue Stellung vermittelte, war Jude, wie der Vater hinzufügt, um nicht für intolerant gehalten zu werden. In Iran selbst hat die Verfolgung der Bahais zur Folge, daà man zumindest in den bürgerlichen Kreisen nicht mehr schlecht über sie redet und selbst der ranghöchste GroÃajatollah, der freilich in Opposition zum jetzigen Regime steht, in einer Fatwa ihren Schutz und ihre Gleichbehandlung verlangt hat. Als der GroÃvater seine Selberlebensbeschreibung verfaÃte, galten die Bahais hingegen als bevorzugt und wurden sie mit dem damaligen Regime identifiziert. Kein Geistlicher stellte ihre Verketzerung in Frage, kein Intellektueller erwähnte die Pogrome, kein Historiker widerlegte die Verschwörungstheorien. Dennoch hob der GroÃvater hervor, und zwar gleich auf Seite zwei, daà sein Vater sie geschützt hatte. Es war ihm wichtig, was sein Vater siebzig Jahre zuvor getan. Und jetzt, wahrscheinlich weitere fünfunddreiÃig oder vierzig Jahre danach, ist es dem Enkel wichtig, was sein GroÃvater schrieb.
Der zwölfte Band, den der Leser nach der bereits kursorischen Lektüre des Hyperion überflog, um anders als vom Roman, den ich schreibe, schon einmal das Ende zu erfahren, deckt
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