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Anders als der Anruf der Frau, der ihn nicht davon abhält, vorsichtig zu tippen, wäre der Krieg ein Grund, den Roman zu unterbrechen, den ich schreibe, und nach langer Zeit wieder ein paar Zeilen zu veröffentlichen. Am wichtigsten aber ist, daà er am Sonntag, dem 30. Juli 2006, mit der Tochter, die um 18:43 Uhr ihre Mutter gute Nacht wünscht, noch eine Pizza teilt, ihr anschlieÃend in der Kneipe, in der gewöhnlich ein Trinkspruch Heimito von Doderers an der Tafel steht, ein paar Runden Flipper spendiert und im Kinderbett so lange vorliest, bis sie sich zum Einschlafen in seinen Arm kuschelt. Danach legt er sich mit Hölderlin ins Ehebett.
Im Radio verteidigt am Montag, dem 31. Juli 2006, ein deutscher Jude um 11:18 Uhr den Libanonkrieg so mäandernd, daà der deutsche Muslim, der als Kontrahent gebucht wurde, den Hörer zwischen Schädel und Schulter geklemmt hat und sachte vor sich hin tippt. Oh, jetzt muà er hinhören: Ich möchte dem Herrn Kollegen eine einfache Gegenfrage stellen, sagt der deutsche Jude und will wissen, was der deutsche Muslim täte, wenn er, also der deutsche Muslim, israelischer Ministerpräsident wäre ⦠die Angreifer nur Opfer, die Angegriffenen nur Täter ergibt Gerechten oder sagen wir doch gleich Heiligen Krieg, und jetzt verulkt der deutsche Jude noch den jüdisch-muslimischen Aufruf, nein, den können Sie gar nicht unterschreiben, unterbricht der deutsche Muslim und legt sich, weil der deutsche Jude sich nicht unterbrechen läÃt, die Worte zurecht, die er gleich entgegnen wird ⦠als ob der Aufruf bloÃes Gutmeinen ausdrücke, ärgert sich der deutsche Muslim noch mehr und nimmt sich vor, von der notwendigen Selbstkritik zu sprechen, die dem Herrn Kollegen ⦠das SchluÃwort bitte ⦠Er kann nicht reden, schon gar nicht im Streit, wenn sich bald seine Stimme überschlägt, schon gar nicht am Telefon, schon gar nicht im Radio, schon gar nicht live. Wie gern hätte er die Sendung unterbrochen und es dem deutschen Juden gesagt, der sich offenbar genauso fremd fühlte im Ring, sonst hätte er dem deutschen Muslim nicht so hilflose Fragen gestellt. Herr Kollege, hätte der deutsche Muslim gern gesagt, gern live in der Sendung gesagt, unser Beruf ist es, in Widersprüchen zu denken, Ambivalenzen zu beschreiben, auf Differenzierungen zu beharren, Unsicherheiten zuzugeben, Fragen aufzuwerfen, statt sie zu beantworten, und jetzt sollen wir ständig Position beziehen für oder gegen etwas in möglichst drastischen Worten, auch Skandale, Beleidigungen, unbewiesene Behauptungen werden gern genommen, sofern sie den Erwartungen des Publikums entsprechen, und je pauschaler das Urteil, desto häufiger die Einladungen. Ãberhaupt ist es Pornographie, wenn zwei Chinesen zur Belustigung der WeiÃen in den Ring steigen.
Als nächstes ist über die UrgroÃmutter zu erfahren, daà sie, Analphabetin zwar, gleichwohl die letzten Suren des Korans und Ausschnitte der längeren Suren auswendig beherrschte. Sie unterwies ihre Kinder in den Pflichten, Lehren und Sitten des Islam und starb im Alter von achtzig Jahren, möge ihre Seele froh sein. Ãber den UrgroÃvater steht mehr: durchlief die Theologischen Seminare, die im Isfahan des neunzehnten Jahrhunderts die einzige Möglichkeit der höheren Bildung boten, trug lebenslang Gewand und Turban eines Mullahs, kümmerte sich um seine beiden Schwestern, deren Männer verstorben waren. Finanziell waren die UrgroÃtanten allerdings unabhängig, wie der GroÃvater hinzufügt, ohne den Grund zu erwähnen: daà der UrurgroÃvater fluÃabwärts gewaltige Ländereien besaÃ, die sich nach seinem Tod auf seine Kinder verteilten. Was es an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert in Isfahan bedeutete, daà der UrgroÃvater »aufgeklärt, religiös und überzeugt von den islamischen Prinzipien« war ( rouschanfekr, motodayyen wa moâtaqed be osul-e eslâmi ), illustriert der GroÃvater auf der zweiten Seite seiner Selberlebensbeschreibung: Trotz seines Ansehens als GroÃgrundbesitzer und Religionsgelehrter setzte der UrgroÃvater sich schweren Angriffen aus, als er den Schwiegersohn seiner Schwester verteidigte, der zum Glauben der Babis konvertiert war. »Ich kann mich sehr gut erinnern, wie meine Cousine barfuà und ohne Kopfbedeckung in unser Haus gelaufen kam, um sich zu verstecken. Alles Hab und
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