Dein Name
über die Verantwortlichen der Krankenstation, die nichts für ihn unternommen hatten. Von Minute zu Minute verschlimmerte sich sein Zustand. Ihm wurde schwarz vor Augen. Sein Atem ging schwer. Plötzlich fing er an, laut zu schreien. Alle Jungs kamen zu ihm. Sein Gesicht war bleich. Seine Muskeln waren steif geworden. Er keuchte. Wir brachten ihn nach oben. Auf dem Treppenabsatz legten wir die Trage ab. Er atmete zum letzten Mal. Dann stand sein Herz still. Wir schrien: âºEr ist von uns gegangen. Akbar ist von uns gegangen.â¹
Zu fünft trugen wir die Bahre vom Treppenabsatz des Trakts 350 zum Krankenhaus. Wir waren auÃer Atem, als wir ihn auf dem Boden niederlieÃen. Seine Augen standen offen. Er sah uns ruhig an. Wir wuÃten, daà er von uns gegangen war, aber seine Augen hatten uns noch eine Menge zu erzählen. Kurz darauf kam der Arzt. Wir sagten: âºHerr Doktor, Akbar ist von uns gegangen.â¹ Der Arzt massierte sein Herz. Eine Krankenschwester trat hinzu und setzte ihm eine Sauerstoffmaske auf Nase und Mund. Dann wiesen sie uns alle aus dem Zimmer und verschlossen die Türen. Die Schichtleitung des Gefängnisses wurde gerufen. Vom Krankenhaus bis zur Zelle haben wir nur geweint: âºEr ist gegangen, Akbar ist gegangen, er hat uns verlassen. Wir fassen das nicht.â¹Â«
Aber in dem kleinen Dorf durfte keiner diese Geschichte erzählen, keine durfte weinen. Zu trauern war eine »Straftat«. Niemand durfte dabeisein. Oder doch, ja, da waren viele, von allen Sorten: Soldaten, Polizisten, Geheimdienstler, Zivilpolizisten ⦠Und Manutschehr, der Bruder, war immer noch nicht da. Man hat es ihm nicht erlaubt. Man sagt, Akbar Mohammadi ist auf Befehl der Gefängnisleitung von der Krankenstation in den Trakt 350 zurückverlegt worden, nach Absprache mit Staatsanwalt Mortazawi. Die Ausgangsgenehmigung für Manutschehr hätte von denselben Menschen unterschrieben werden müssen, die eine Trauerfeier zur »Straftat« erklärten.
Weil ich im Bergischen Land nur analog ins Internet komme und kaum mehr als Mails herunterladen kann, konnte ich Akbar Mohammadi noch immer nicht politisch zuordnen, als ich die Ãbersetzung an die Redaktion schickte. Nur weil ich wuÃte, wie er gestorben war, fühlte ich den Verlust. Zurück in Köln, erfuhr ich, daà Akbar 1999 bei den Studentenunruhen eher zufällig verhaftet worden war. Eigentlich fahndete der Geheimdienst nach seinem Bruder, der mit besonders radikalen Forderungen von sich reden gemacht hatte. Akbar sollte das Versteck verraten. Bekannt wurde er erst durch einen offenen Brief, in dem er auf annähernd fünfzig Seiten die Erlebnisse in der Haft und vor allem die Verhöre in kaum zu ertragenden Details schilderte, wie er verprügelt, wie in Handschellen an den Händen aufgehängt, wie mit Elektrokabeln auf die FuÃsohlen geschlagen wurde. In einem Schnellverfahren und mit einem gerichtlich bestellten Anwalt, der sich als weiterer Ankläger entpuppte, wurde Akbar Mohammadi zum Tode verurteilt. Später »begnadigte« ihn der Revolutionsführer zu fünfzehn Jahren Haft.
Als sein Bruder einen Hafturlaub nutzte, um in die Vereinigten Staaten zu fliehen, und sich dort mit dem Sohn des Schahs zeigte, fragten wir uns, warum das Regime ihn hatte ausreisen lassen. Wir erinnerten uns an die aufsehenerregenden Interviews, die er während der Studentenunruhen gegeben hatte. Schon damals hielten ihn manche für einen Provokateur des Regimes. Akbar büÃte die Flucht seines Bruders mit weiteren Schlägen, Peitschenhieben und vor allem mit wochenlangem Schlafentzug. Letzterer quälte ihn am meisten, wie Akbar in dem offenen Brief schrieb. Zeitweise habe er sich danach gesehnt, zu den Folterern gebracht zu werden, weil er unter den Schlägen regelmäÃig das BewuÃtsein verlor und danach für kurze Zeit liegengelassen wurde, bevor er wieder einen Wasser Eimer ins Gesicht gespritzt bekam.
Niemand verstand, warum der Bruder nach Iran zurückgekehrt ist, obwohl er sicher sein konnte, daà er verhaftet und diesmal noch schlimmer gefoltert werden würde. Ich bin mir jetzt sicher, daà er Akbar Mohammadi sehen wollte.
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Am Montag, dem 7. August 2006, klappt er um 2:48 Uhr auf der Terrasse in Köln den Laptop auf, um etwas zu schreiben, was auch immer, Hauptsache, daà es schläfrig macht, weil sich im Bett die Zeit nicht vertreiben läÃt, vom Tag
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