Dein Name
Aziz an, alle Fächer leerzuräumen, nicht nur in, sondern notfalls unter, über und hinter den Regalen, Schränken, Tischen und Schubladen nachzusehen. Er sei sicher, raubt ihm Mirza Aziz die Hoffnung, absolut sicher, daà ihm keine solche Kiste übergeben worden sei. Wie bewuÃtlos sackt der Amtsleiter auf einen Stuhl. Als er die Augen öffnet, bittet ihn Mirza Aziz, das Telegramm zu übersetzen. Bei der neuerlichen Lektüre fällt der Blick des Amtsleiters auf den Halbsatz, wonach der englische Konsul ihm die Kiste überreicht habe. Vielleicht hat er sie mir gar nicht überreicht, überlegt der Amtsleiter, vielleicht hatte er es nur beabsichtigt, und etwas oder jemand brachte ihn davon ab. Er rennt zum einzigen Telefon des Zollamts in einer Kabine der Eingangshalle, wo die eigenen Beamten und durchreisenden Nomaden sich über seine Hektik wundern, und läÃt sich mit dem britischen Konsulat verbinden. Der Konsul spannt den Amtsleiter zunächst mit Höflichkeitsfloskeln auf die Folter. Die Kiste? fragt er schlieÃlich: Welche Kiste? Ach, diese Kiste, ja, die habe ich Ihnen übergeben. Schlimmer: Dem Konsul liegt die Unterschrift des neuen Amtsleiters vor, die den Empfang bestätigt. Der Amtsleiter läÃt den Hörer fallen, unfähig zu weiteren Floskeln, und tritt aus der Kabine. Heià und kalt ist ihm, da er sich die Schande ausmalt, die der verlorene Schmuck von Madame Carlier ihm bringen, die Schande, die er den Vorgesetzten und Eltern machen wird, seinem Vater vor allem, so speiübel vor Angst, Scham und Verzweiflung, daà er aus der Eingangshalle rennt, um sich nicht vor den eigenen Beamten und den durchreisenden Nomaden zu übergeben, sondern in der Nebengasse. Das kann nicht sein, versucht er zurück in seinem Büro einen klaren Gedanken zu fassen, er hat den Empfang nicht bestätigt, niemals hat er den Empfang bestätigt, das kann einfach nicht sein â der Konsul kann sich vertan haben, vielleicht stammt die Unterschrift von dem Briten, der Monsieur Carlier als erstes nachfolgte, oder jemand hat die Unterschrift des neuen Amtsleiters gefälscht. Noch einmal regt sich Hoffnung und will der Amtsleiter zum britischen Konsulat stürmen, um die Empfangsbestätigung zu überprüfen, da klopft ein Bote des Konsuls an, der sie ihm überreicht. Der Amtsleiter reiÃt den Umschlag auf: kein Zweifel, es ist seine eigene Unterschrift, mit Stempel und Datum. Er stellt sich die Zelle vor, in die man ihn stecken wird, seine elende Zukunft als verurteilter Dieb, wo er zwei Stunden zuvor noch eine steile Karriere vor Augen hatte, Mitte Zwanzig, schätze ich, und schon Zollamtsleiter eines bedeutenden Hafens, dazu als Iraner, als erster Iraner, wo die leitenden Beamten der Behörde sonst alle Franken sind. Wen könnte er von seiner Unschuld überzeugen, wenn nicht einmal Mirza Aziz noch einen Grund finden wird, ihm zu glauben? Wenn nicht einmal der Amtsleiter selbst sich glauben kann? Ein ums andere Mal murmelt er Sure 22,67: »Wer sonst erhört das Gebet des Bedrängten und nimmt hinfort das Ãbel?« Das hilft ein wenig, er beruhigt sich soweit, daà er Gott selbst ansprechen kann: »Gott, allmächtiger Gott, vielleicht werde ich zu Recht beschuldigt, aber Du allein weiÃt, daà ich kein Dieb bin und mir nichts absichtlich habe zuschulden kommen lassen â steh mir bei, wenn es Dich gibt, und ich weià und glaube daran, daà es Dich gibt. Bitte laà mich nicht allein.« Er blickt mit dem Gesicht nicht zum Himmel, hält den Oberkörper nicht aufrecht, hat die Arme nicht mit den Handflächen nach oben ausgebreitet, wie es Muslime sonst zum Beten tun. Die Stirn liegt auf dem Schreibtisch, aus den geschlossenen Augen flieÃen Tränen, leblos hängen die Hände herab. Das erste Mal, als sein Vater zu sterben schien, fühlte der Amtsleiter sich ähnlich erloschen, damals auf dem kalten Boden ihres Hofes, wie ein Toter, so sieht er aus, soeben gestorben, so sieht ihn Mirza Aziz, der das Büro betritt, nachdem er mehrfach vergeblich geklopft hat. Der Amtsleiter bemerkt ihn noch immer nicht. â Herr Schafizadeh, berührt Mirza Aziz ihn an der Schulter, wie es einst die Mutter tat, Herr Schafizadeh, lieber Herr Schafizadeh, wachen Sie auf und schauen Sie noch mal in den Schubladen nach. Ohne das Kopf zu heben, stöhnt der neue Amtsleiter, daà er bereits alles durchwühlt habe: Es
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