Dein Name
lese ich auÃerdem, daà mit Sadegh Hedayat der bedeutendste Vertreter der modernen persischen Literatur in den dreiÃiger Jahren ebenfalls bei der Nationalbank angestellt und sogar für den gleichen Bereich zuständig war wie GroÃvater, Ãbersetzung und Korrespondenz, wenngleich in der Zentrale. Von dem Enthusiasmus, den GroÃvater aus den Gründerjahren bezeugt, findet sich in den Briefen Hedayats, soweit ich sie in der römischen Orientalistik einsehen kann, allerdings keine Spur. Ein »Pissoir« nennt er die Nationalbank: »Jeden Tag, das ganze Jahr lang, pressen sie einem an diesem gottverlassenen Ort den Saft aus dem Körper. Es ist ein mechanisches, schmutziges Leben.« Daà sie sich begegnet sind, halte ich für unwahrscheinlich, dafür scheinen die Wege in den dreiÃiger Jahren noch zu weit gewesen zu sein. Sehr wohl könnten sie jedoch miteinander korrespondiert haben, im Auftrag Sadegh Hedayat, im Auftrag mein GroÃvater. Womöglich haben sie sich mal gefragt, was für ein Mensch sich hinter dem jeweils anderen Namen verbirgt.
Herr Stier war das gröÃte Genie, das GroÃvater je auf dem Gebiet des Bankwesens erleben sollte. Mit Vollmachten ausgestattet, wie sie in späteren Zeiten undenkbar gewesen wären, bestimmte er die Planung, die Werbung, die Kontrolle, den Geldverkehr, die Zusammensetzung des Personals und das Gehalt eines jeden einzelnen Angestellten. Wenn die Angestellten spätabends über einer Rechnung brüteten, die beim besten Willen nicht aufging, warf er einen kurzen Blick über ihre Schulter und hatte den Fehler schon gefunden. Er beherrschte Mathematik und die Feinheiten der Buchhaltung, betreute die Kunden ebenso versiert wie er die Mitarbeiter kundig führte, kannte die Geheimnisse guten Managements und ordinärer Hausverwaltung, war einfach unschlagbar in allem, worin sich ein deutscher Bankdirektor Anfang der dreiÃiger Jahre in einer iranischen Provinzstadt noch alles beweisen muÃte: kein Papier, das am falschen Ort aufbewahrt, keine Ãberweisung, die falsch adressiert, kein Gehalt, das verspätet angewiesen, kein Angestellter, der übervorteilt worden wäre. In seinem Reich herrschten Pünktlichkeit, Disziplin, Ordnung und Gerechtigkeit. GroÃvater schreibt es nicht, aber so muà er gedacht haben: Unter Herrn Stier war einfach alles unerhört deutsch. Und wie gut deshalb! Jahre später, als er längst pensioniert war, zahlte GroÃvater einmal Geld auf seinem Konto ein und wartete über Wochen vergeblich darauf, daà die Summe in den Kontoauszügen auftauchte. So ging er mit der Durchschrift der Quittung in seine alte Bank zurück, um die Ãberweisung zu reklamieren. Erst wurde er von Büro zu Büro geschickt, dann hob ein Angestellter einen Postsack voller Papiere auf den Tisch und lieà GroÃvater mit dem Hinweis stehen, daà er den Sack ausschütten und den Originalbeleg finden müsse, damit die Ãberweisung überprüft werden könne, die Quittung allein genüge nicht. GroÃvater ging mit dem Sack unter den Arm aus dem Zimmer, sprach auf dem Korridor ein Gebet für den verstorbenen Herrn Stier und klopfte bei Herrn Yawari an, dem damaligen Direktor der Nationalbank in Isfahan, um ihn auf die neuen Zustände aufmerksam zu machen und an die alten zu erinnern. â Ach je, seufzte Herr Yawari, jene Schüssel ist zerbrochen und das Wasser verschüttet. Weder gibt es heute noch Bankkaufleute wie früher, noch besitze ich als Bankdirektor das Geschick und die Weitsichtigkeit eines Herrn Stier. What went wrong? hätte GroÃvater anhand eines Mikrokosmos der Moderne, wie es die Filiale der Iranischen Nationalbank in Isfahan gewesen sein muÃ, präziser beantworten können, als es dem Enkel je mit geopolitischen, religiösen oder kulturalistischen Theorien gelänge. Das genau war es wahrscheinlich, was GroÃvaters gelehrtester Freund von der Selberlebensbeschreibung erwartet hätte: Verallgemeinerbares. Als Herr Stier Isfahan nach einigen Jahren verlieÃ, leitete ein anderer Deutscher die Filiale, ein Herr Greuer oder so ähnlich (g-r-â-y-r), unter dem die Bank ihre Effizienz und Ordnung weitgehend bewahrte. Mit der Ernennung iranischer Direktoren begann der Niedergang, erst Herr Abdolbaghi Mirza SchoaÃ, aus dem später ein ganz hohes Tier in Teheran wurde, anschlieÃend Herr Nabawi, unter dem die Bank ihr heutiges
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