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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Manchmal komme es ihm vor, als habe Großvater das Talent gehabt, von bedeutenden Ereignissen oder historischen Umbrüchen punktgenau das Uninteressanteste oder Gewöhnlichste zu erzählen, nette Anekdoten, wie man sie sich im Familienkreis eben erzähle, und vor allem viele, viele Namen, mit denen kein Leser dreißig, achtzig oder gar hundert Jahre später etwas anfangen könne. – Aber Ihr Großvater war ein großartiger, ein moralisch ganz besonders hochstehender Mensch, verteidigt ihn sein gelehrtester Freund. – Das weiß ich, Eure Exzellenz, beeilt sich der Enkel zu rufen. Dann spricht der gelehrteste Freund über die zwei Ereignisse, die Großvater gegen Ende seines Lebens das Genick gebrochen hätten: der Tod seines zweiten Sohns und die Besetzung Tschamtaghis, des einzigen, allerdings paradiesischen Stückchen Lands, das die Bodenreform des Schahs vom Erbe übriggelassen hatte. Als die Bauern Großvater nach der Islamischen Revolution mit Gewehren aus Tschamtaghi vertrieben, bat er um eine Audienz beim Ajatollah Chademi, dem seinerzeit ranghöchsten Theologen Isfahans. Damals hoffte er noch auf die Geistlichkeit, mit der seine Familie in so enger Verbindung gestanden hatte, hoffte auf Ajatollah Chademi persönlich. Die Freunde brachten Großvater zur Audienz, ein Kommandounternehmen wegen seines Harndrangs, seines Rollstuhls und des zweiten Stockwerks, in dem Ajatollah Chademi Besucher empfing. – Sie werden sehen, sagte Großvater seinem gelehrtesten Freund, der Agha wird es richten, ein Wort von ihm genügt. Der Agha ließ sich jedoch Zeit, zunächst mit den anderen Besuchern zu sprechen, die ringsum auf dem Rand des großen Teppichs saßen. Als Großvater sein Anliegen endlich vorgetragen hatte, nahm Ajatollah Chademi kommentarlos den nächsten Besucher an die Reihe. Großvater brach in Tränen aus, sank vom Rollstuhl auf die Knie, krabbelte quer über den Teppich zum Geistlichen und küßte ihm die Hand: Alles haben sie mir genommen, Kartschegun, Berendschegan, alles Land, das meine Väter einst fruchtbar gemacht haben, und jetzt rauben sie noch das letzte Stück Garten. – Glaubst du, Großvater hat wirklich die Hand des Ajatollahs geküßt, oder war das nur so eine Redensart? fragt der Enkel flüsternd seinen Cousin, als wieder Tee gereicht wird, und verweist auf die Stelle der Selberlebensbeschreibung, wo Urgroßvater sich über Großvaters Handkuß empört. Der Cousin glaubt, daß Großvater in seiner Verzweiflung wirklich die Hand des Ajatollahs küßte. In seiner Anwaltskanzlei hat er sämtliche Unterlagen des Streits aufbewahrt, auch die Protokolle des Gerichtsverfahrens, das Großvater nach dem erfolglosen Besuch bei Ajatollah Chademi anstrengte. Wieder begleitete ihn sein gelehrtester Freund, als der Richter, ein Geistlicher im mittleren Rang eines Hodschatoleslam, Großvater versicherte, natürlich im Recht zu sein, er solle sich keine Sorgen machen, die Fakten seien eindeutig. Wenige Tage später urteilte das Gericht zugunsten der angeklagten Bauern. Wie sich herausstellte, ja, wie sie ihm sogar hämisch ausrichten ließen, hatten sie den Hodschatoleslam einfach bestochen: Egal, wieviel Großvater dem nächsten Richter zahle, er könne sicher sein, daß sie mehr böten. – Die Flüche, die Ihr Großvater in seinen letzten Jahren ausstieß, richteten sich nicht nur gegen Herrn Chomeini und die Geistlichkeit, erinnert sich sein gelehrtester Freund: Die Flüche überschritten eindeutig die Grenzen zur Ketzerei ( kofr ). Weil die Mutter diesen Aspekt von Großvaters Depression unterschlug, blickt der Enkel zu seinem Cousin, der die Gotteslästerungen durch sein Nicken bestätigt. Allerdings habe Großvater jedesmal ein astaghferollâh hinzugefügt, fährt der gelehrteste Freund fort, die Bitte um Vergebung der Sünden und den Beistand Gottes, und selbstverständlich sein Gebet streng eingehalten. Im übrigen kenne der Enkel doch sicher die Geschichte aus dem Masnawi oder habe sie vielleicht sogar von Großvater selbst gehört. – Welche Geschichte? fragt der Enkel. – Die vom Gläubigen, der viele Nächte lang Gott anruft. – Und dann? – Eines Nachts verspottet ihn der Satan: Immerfort seufzt du »O Gott! O Gott!« Wo bleibt denn das »Hier bin ich!« von Gott? Der Gläubige gibt betrübt das

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