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um viel in Erfahrung zu bringen, GroÃvaters gelehrtester Freund an die hundert Jahre schon alt, da er als Geschichtslehrer bereits den Onkel unterrichtete, der auch schon vierundachtzig ist. Jetzt zu Nouruz sind seine Kinder aus Amerika angereist; ansonsten ist er mit zwei Pflegerinnen allein, die ihn abwechselnd versorgen. Auf seinem Sessel ist eine Wickeldecke für unterwegs ausgebreitet, wie sie der Enkel auch für die Frühgeborene kauft. Ãber dem Pyjama trägt er eine Anzugweste, soviel Form muà sein, und die Bücher an allen vier Wänden des Salons haben Signaturen wie in einer öffentlichen Bibliothek. Oh, jetzt merkt der Enkel, wie GroÃvaters gelehrtester Freund sich freut, ihn zu sehen. Es ist, als sei er aus einem Dämmerzustand erwacht. Erst lächelt er den Enkel an, dann rühmt er ihn mit seiner Stimme hell und kratzig wie ein Kobold im Zeichentrickfilm: Der kleine Herr, den die Anwesenden hier sähen, habe Bücher verfaÃt, weithin gerühmte Bücher, unter anderem über den Koran. Leider könne er sie nicht lesen, weil sie auf deutsch geschrieben seien. Der Enkel wird auf seinem Stuhl noch etwas kleiner. Wie üblich, redet die Runde erst über Politik. GroÃvaters gelehrtester Freund hat Angst, daà die Staatsführung einen Krieg nicht nur in Kauf nimmt, sondern mutwillig herbeiführt, und fragt den Enkel nach der Meinung des Auslands. â Der Präsident negiert den Holocaust, droht mit der Vernichtung Israels und strebt nach der Atomwaffe, antwortet der Enkel: Was meinen Eure Exzellenz, wie das im Ausland ankommt? Daà er GroÃvaters gelehrtesten Freund mit djenâb âli anredet, Eure Exzellenz, hört sich nur in der Ãbersetzung gestelzt an. Im Persischen gehören solche Ausdrücke noch zur Alltagssprache, gebräuchlich selbst für Kunden im Supermarkt oder beim Bäcker. Sie reden über den amerikanischen Präsidenten und die Evangelikalen, die mit den eigenen Fundamentalisten Pingpong spielen würden, wie GroÃvaters gelehrtester Freund immer noch gut informiert krächzt, über den Präsidentschaftskandidaten â schau her, ein Schwarzer! â, auf den alle Anwesenden hoffen, damit der Krieg ausbleibt. â In Amerika können Wahlen einen Unterschied machen, verkündet der Enkel, und alle nicken auÃer GroÃvaters gelehrtestem Freund, der nicht mehr gut hört. Aber er ist jetzt da, GroÃvaters gelehrtester Freund, ist bis auf das halbtaube Ohr, die fiepsige Stimme und den geschrumpften, gebeugten, geschrumpelten Körper doch wieder der alte, neugierig, scharf im Urteil, immer mit dem englischen Fachbegriff oder dem arabischen Koranvers zur Hand. Als der Enkel, der seinen Stuhl an den Sessel von GroÃvaters gelehrtestem Freund geschoben hat, nach der Selberlebensbeschreibung fragt, führt GroÃvaters gelehrtester Freund nicht das Wort von dem »eher familiären Interesse« an, das sich der Mutter einprägte. Vielleicht ist es nie gefallen, legte GroÃvater es in seiner Enttäuschung dem gelehrtesten Freund nur in den Mund. Dieser krächzt â und betont, dem GroÃvater seinerzeit nichts anderes gesagt zu haben â, daà die Selberlebensbeschreibung viele Begebenheiten von geschichtlicher Bedeutung behandele, er jedoch die contextualization vermisse, wie er es auf englisch ausdrückt, the commentaries and explanations . Als Beispiel nennt er, ohne sich lang besinnen zu müssen, den Beschuà eines iranischen Hafens, den GroÃvater ohne jede Erläuterung schildere. Dabei sei es doch wichtig, die Episode historisch einzuordnen: Daà Ausländer Kanonen auf einen iranischen Hafen abfeuerten, um den Zoll einzutreiben, den angeblich iranischen Zoll, darin drücke sich im Konkreten aus, was die groÃe Geschichte sei. â Wie sehen Sie das, Agha Navid? fragt GroÃvaters gelehrtester Freund. Der Enkel gibt brüllend zu erwägen, daà ein Buch durch Auslassungen literarisch gerade gewinnen könne. In einem politischen Manifest oder einem wissenschaftlichen Werk liefere der Autor das Urteil mit. Literatur hingegen lieÃe Platz, damit der Leser sein eigenes Urteil bildet. Während GroÃvaters gelehrtester Freund noch über die Triftigkeit dieses Einwandes nachdenkt, gesteht der Enkel schon ein, sich ebenfalls Hinweise auf die Zeit sowie Beschreibungen der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gewünscht zu haben.
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