Dein Name
Gebet auf, bis ihm der Prophet Chidr im Traum erscheint und fragt, warum der Gläubige seine Seufzer nicht mehr zu Gott schickt. Weil nie Antwort kam, erklärt der Gläubige. Da spricht Gott: »Dein Ruf âºO Gott!â¹ ist Mein Ruf âºIch bin hier!â¹ / Dein Schmerz und Flehn ist Botschaft doch von Mir, / Und all dein Streben, um Mich zu erreichen: / Daà ich zu Mir dich ziehe, istâs ein Zeichen. / Dein Liebesschmerz ist Meine Huld für dich / Im Ruf âºO Gott!â¹ sind hundert âºHier bin ich!« Dem gelehrtesten Freund fällt noch eine dritte Begebenheit ein, die GroÃvater im Alter zusetzte: Seine Rente fiel äuÃerst gering aus, vielleicht weil er, vermutet der gelehrteste Freund, sich mit jemandem in der Nationalbank überworfen hatte und nicht regulär aus dem Dienst geschieden war. Als er seine Ländereien verlor, hatte er manchmal nicht einmal Geld für die Armen, die an sein Tor klopften, so daà er seine Töchter oder seine Frau bitten muÃte, ihm mit ein paar Münzen auszuhelfen. In den letzten Jahren war der gelehrteste Freund der einzige, der ihn regelmäÃig besuchte, fast jeden Nachmittag. Der gelehrteste Freund fragt den Enkel nach dessen eigenen Erinnerungen. Der Enkel weist auf Jahr und Ort seiner Geburt hin, um zu erklären, warum seine Erinnerungen nicht weit zurückreichen. Am deutlichsten und schmerzhaftesten habe er vor Augen, wie sehr GroÃvater sich wegen seiner Blasenschwäche schämte. Das ist klar: Auch wenn GroÃvater äuÃerlich nicht dem herkömmlichen Bild des Patriarchen entsprach und als religiöser Mensch bestimmt einsah, daà sein Körper nicht anders als andere Körper verfiel â sich in die Hose zu machen ist das Sinnbild schlechthin des Unmännlichen, das ein Mann nicht erträgt, schon gar nicht im Orient, schon gar nicht GroÃvater, der sich auf allen Photos bis auf dem einen mit der lachenden GroÃmutter so sehr um Ernsthaftigkeit bemühte (und selbst auf diesem Photo läÃt er sich nur zu einem Schmunzeln hinreiÃen). â Jetzt ist meine Kleidung schon wieder dreckig, beschwerte er sich einmal bei seinem gelehrtesten Freund. â Ja, glauben Sie etwa, nur Ihre Kleidung ist unrein? spielte sein gelehrtester Freund auf den Anfang von Sure 96 an, wonach Gott den Menschen aus einer klebrigen Flüssigkeit ( alaq )erschaffen hat, einem Klumpen Blut, wie es meistens übersetzt wird, tatsächlich aber und konkreter eine Ausscheidung: Jede Pore Ihrer Existenz ist von Samen und Blut, von Kot und Urin durchdrungen. Auch Sie sind nur ein Mensch! GroÃvater war in seinen letzten Lebensjahren schwermütig, zornig auf sich und schnell auf die anderen, nicht leicht auszuhalten, wenn man ihn täglich sah (und sein Anblick war für uns Feriengäste aus Deutschland schon bestürzend genug). â Zahra Chanum! schrie er nach GroÃmutter, die er sein ganzes Leben lang nur gesiezt hatte, Zahra, jetzt komm endlich her! Sosehr sich GroÃmutter dann beeilte, kam sie oft dennoch zu spät, muÃte ihn waschen und ihm eine neue Hose und Unterhose anziehen. Lächeln gesehen hat sein gelehrtester Freund GroÃvater auch dann nicht mehr, wenn jemand einen Scherz versuchte. Einer der Verwandten, ein bekannter SpaÃvogel, tat einmal so, als tränke er versehentlich aus der Flasche, in die GroÃvater Wasser gelassen hatte. Nur GroÃvater dachte, es sei ernst.
In einem weiteren Punkt korrigiert der Enkel in Isfahan die Erinnerung des Enkels aus Deutschland, als er ihn in seine Kanzlei mitnimmt. In früheren Jahren hat GroÃvater durchaus gelacht und Anteil genommen an SpäÃen. Anfangs zwar widerwillig, erlaubte er, daà die Enkel in seiner Anwesenheit Karten spielten, und obgleich er zu Beginn jeder Partie erklärte, in seinem Leben keine Spielkarten auch nur berührt zu haben, lieà er es nach der Partie nicht an der freundlich spottenden Bemerkung über den Verlierer fehlen. Als die Schulen wegen der Revolution geschlossen waren, übernahm er den Unterricht für die fünf Enkel, die in Isfahan geblieben waren. Erst lasen sie gemeinsam den Koran, dann den Rosengarten von Saadi, vier Monate lang, jeden Morgen von halb acht bis mittags ausschlieÃlich Religion und Dichtung. Vieles andere sei wichtig zu lernen, aber für das Leben nichts so wichtig wie Religion und Dichtung, pflegte GroÃvater zu sagen. Auf einen späteren
Weitere Kostenlose Bücher