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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Gebet auf, bis ihm der Prophet Chidr im Traum erscheint und fragt, warum der Gläubige seine Seufzer nicht mehr zu Gott schickt. Weil nie Antwort kam, erklärt der Gläubige. Da spricht Gott: »Dein Ruf ›O Gott!‹ ist Mein Ruf ›Ich bin hier!‹ / Dein Schmerz und Flehn ist Botschaft doch von Mir, / Und all dein Streben, um Mich zu erreichen: / Daß ich zu Mir dich ziehe, ist’s ein Zeichen. / Dein Liebesschmerz ist Meine Huld für dich / Im Ruf ›O Gott!‹ sind hundert ›Hier bin ich!« Dem gelehrtesten Freund fällt noch eine dritte Begebenheit ein, die Großvater im Alter zusetzte: Seine Rente fiel äußerst gering aus, vielleicht weil er, vermutet der gelehrteste Freund, sich mit jemandem in der Nationalbank überworfen hatte und nicht regulär aus dem Dienst geschieden war. Als er seine Ländereien verlor, hatte er manchmal nicht einmal Geld für die Armen, die an sein Tor klopften, so daß er seine Töchter oder seine Frau bitten mußte, ihm mit ein paar Münzen auszuhelfen. In den letzten Jahren war der gelehrteste Freund der einzige, der ihn regelmäßig besuchte, fast jeden Nachmittag. Der gelehrteste Freund fragt den Enkel nach dessen eigenen Erinnerungen. Der Enkel weist auf Jahr und Ort seiner Geburt hin, um zu erklären, warum seine Erinnerungen nicht weit zurückreichen. Am deutlichsten und schmerzhaftesten habe er vor Augen, wie sehr Großvater sich wegen seiner Blasenschwäche schämte. Das ist klar: Auch wenn Großvater äußerlich nicht dem herkömmlichen Bild des Patriarchen entsprach und als religiöser Mensch bestimmt einsah, daß sein Körper nicht anders als andere Körper verfiel – sich in die Hose zu machen ist das Sinnbild schlechthin des Unmännlichen, das ein Mann nicht erträgt, schon gar nicht im Orient, schon gar nicht Großvater, der sich auf allen Photos bis auf dem einen mit der lachenden Großmutter so sehr um Ernsthaftigkeit bemühte (und selbst auf diesem Photo läßt er sich nur zu einem Schmunzeln hinreißen). – Jetzt ist meine Kleidung schon wieder dreckig, beschwerte er sich einmal bei seinem gelehrtesten Freund. – Ja, glauben Sie etwa, nur Ihre Kleidung ist unrein? spielte sein gelehrtester Freund auf den Anfang von Sure 96 an, wonach Gott den Menschen aus einer klebrigen Flüssigkeit ( alaq )erschaffen hat, einem Klumpen Blut, wie es meistens übersetzt wird, tatsächlich aber und konkreter eine Ausscheidung: Jede Pore Ihrer Existenz ist von Samen und Blut, von Kot und Urin durchdrungen. Auch Sie sind nur ein Mensch! Großvater war in seinen letzten Lebensjahren schwermütig, zornig auf sich und schnell auf die anderen, nicht leicht auszuhalten, wenn man ihn täglich sah (und sein Anblick war für uns Feriengäste aus Deutschland schon bestürzend genug). – Zahra Chanum! schrie er nach Großmutter, die er sein ganzes Leben lang nur gesiezt hatte, Zahra, jetzt komm endlich her! Sosehr sich Großmutter dann beeilte, kam sie oft dennoch zu spät, mußte ihn waschen und ihm eine neue Hose und Unterhose anziehen. Lächeln gesehen hat sein gelehrtester Freund Großvater auch dann nicht mehr, wenn jemand einen Scherz versuchte. Einer der Verwandten, ein bekannter Spaßvogel, tat einmal so, als tränke er versehentlich aus der Flasche, in die Großvater Wasser gelassen hatte. Nur Großvater dachte, es sei ernst.
    In einem weiteren Punkt korrigiert der Enkel in Isfahan die Erinnerung des Enkels aus Deutschland, als er ihn in seine Kanzlei mitnimmt. In früheren Jahren hat Großvater durchaus gelacht und Anteil genommen an Späßen. Anfangs zwar widerwillig, erlaubte er, daß die Enkel in seiner Anwesenheit Karten spielten, und obgleich er zu Beginn jeder Partie erklärte, in seinem Leben keine Spielkarten auch nur berührt zu haben, ließ er es nach der Partie nicht an der freundlich spottenden Bemerkung über den Verlierer fehlen. Als die Schulen wegen der Revolution geschlossen waren, übernahm er den Unterricht für die fünf Enkel, die in Isfahan geblieben waren. Erst lasen sie gemeinsam den Koran, dann den Rosengarten von Saadi, vier Monate lang, jeden Morgen von halb acht bis mittags ausschließlich Religion und Dichtung. Vieles andere sei wichtig zu lernen, aber für das Leben nichts so wichtig wie Religion und Dichtung, pflegte Großvater zu sagen. Auf einen späteren

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