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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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zum Beispiel, oder nein, nicht schon wieder von einem Sonntag zu Besuch in St. Margarete, vielleicht von der Katze der Schwägerin, die er zwei Tage lang hütet, oder besser von den Verhandlungen mit der Krankenkasse am Freitag über die Verlängerung der Therapie, von der Rechnung, vor Monaten nicht bezahlt, die am selben Tag als Gerichtsschreiben in den Briefkasten zurückkehrte, dem Streit mit der Tochter am Samstag, der Schwägerin mitsamt Katze im Wohnungsflur, die wegen ihres schreienden Schwagers peinlich berührt war, der Spätvorstellung, die den Samstag auch nicht retten konnte, und die Kneipe, die er auf dem Weg ins Büro ausließ, obwohl es die erste Gelegenheit gewesen wäre, mit jemandem zu reden, der noch nicht darüber aufgeklärt ist, daß seine Frau zusammengebrochen ist und mit ihr die Welt seiner Erscheinungen. Morgen, beziehungsweise heute, also Montag, bereitet er der Tochter einen schöneren Tag und bittet die Schwägerin um Nachsicht für den Ausbruch, den eine schnippische Antwort auf die Frage auslöste, wo der Stöpsel des Spülbeckens geblieben sei. Bestimmt überlegt die Schwägerin, ob sie sich einmischt. Es ist heikel, das wird sie ahnen, auch wenn sie keine Kinder hat; auf kaum etwas reagieren Väter oder Mütter empfindlicher, als wenn Außenstehende ihre Erziehung kritisieren. Zweifellos gibt es den Punkt, ab dem die Fürsorge für das Kind schwerer wiegt als etwaige verletzte Gefühle der Eltern, und je näher man ihnen steht, desto früher ist er erreicht. Aber dann ist er im Konkreten so schwer zu bestimmen, auch diese Grenze, wie alle, auf die es ankommt. Es ist im Kleinen die Frage nach dem Großen, dem richtigen Leben. Die Schwägerin wird schon spüren, wann sie eingreifen muß. Der Zeitung sagt er noch rasch für den Herbst einen Bericht aus Afghanistan zu, obwohl er doch nicht fort kann, bevor er sich wieder ins Bett legt und einzuschlafen versucht. Die Berichte sind die Armensteuer des Romanschreibers.
    Â»Sehen Sie, mein Herr, wie unsere Lage ist?« fragte der junge Babi, der den Engländer Edward G. Browne nach Tacht-e Fulâd führte, dem eine Stunde Fußmarsch östlich der Stadt gelegenen »Thron aus Stahl«, auf dem auch Großvater in Frieden ruht. Auf dem Satellitenbild, das der Enkel drahtlos empfängt, weil er der Katze wegen zu Hause bleibt, ist der Friedhof leicht zu finden: Er liegt an der Straße zum Atomkraftwerk. »Wir sind gleich Tieren, die man jagt, wie Biester, die man erbeutet«, klagt der junge Babi. Die schlichten weißen Grabsteine waren damals wie heute ohne erkennbare Ordnung über das weite Feld verteilt, auf dem nichts wuchs. Mitten in der Ödnis blieb der Babi plötzlich stehen und sagte, daß hier die Märtyrer begraben seien. Keine Inschrift oder Tafel wies auf die vier oder höchstens acht Quadratmeter Geröll zwischen anderen Gräbern, unter dem Hadschi Mirza Hassan und Hadschi Mirza Hossein lagen. »Grabsteine würden die Muslime zertrümmern«, erklärte der Babi und betete. Sowohl Hadschi Mirza Hassan als auch Hadschi Mirza Hossein waren Seyyeds von Geburt, Nachfahren des Propheten, und Händler von Beruf, aber weder ihre Herkunft noch ihr hohes Ansehen im Basar hatte sie gerettet. Ein unbedeutender Mullah, der ihnen zehntausend Tuman schuldete, zeigte sie beim Freitagsprediger von Isfahan als Babis an, die nach dem islamischen Gesetz den Tod verdient hätten, da sie Mohammad nicht für den letzten Propheten hielten, sondern Mirza Ali Mohammad aus Schiraz, der sich der Bab nannte, »das Tor«. Abgesehen davon, seien Hadschi Mirza Hassan wie auch Hadschi Mirza Hossein sehr reich, fügte der Mullah hinzu; würden sie hingerichtet, fiele der Besitz den Muslimen zu. Der Freitagsprediger wandte sich an den Gouverneur von Isfahan, den ebenso despotischen wie korrupten Prinzen Zell-e Soltan, den die Aussicht verlockte, sich zu bereichern; jedoch fürchtete er die öffentliche Entrüstung über die Hinrichtung zweier Prophetennachfahren und angesehener Kaufleute. Er könne Hadschi Mirza und Hadschi Mirza Hossein, da sie kein Gesetz gebrochen hätten, nicht hinrichten lassen, beschied Zell-e Soltan dem Freitagsprediger; wenn allerdings der Freitagsprediger die Hinrichtung im Namen des heiligen islamischen Gesetzes anordne, würde sich der Staat selbstverständlich nicht einmischen. Der

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