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Krankenbett aus dem Fachhandel besorgt. Ein-, zweimal am Tag verlieà er das Haus hinter der Schah-Moschee in der Altstadt von Isfahan, um Besorgungen zu machen oder Papierkram zu erledigen.
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Taghi Madani (1913 Isfahan; 22. März 2005 ebendort) ( Bildnachweis )
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Gab es eine Geselligkeit, eine »Gästerei«, wie man das persische Wort mehmuni wörtlich übersetzen müÃte, blieb manchmal eines der Kinder bei Tante Lobat, damit Herr Madani unter Leute kam. Dann zog er sich einen seiner alten braunen oder blauen Anzüge an, mit Weste, Rollkragenpulli oder noch weit ins Frühjahr hinein mit Strickjacke darunter, knöpfte sich das Hemd gegebenenfalls bis zum obersten Knopf zu und setzte sich mit Hilfe meines Cousins vorsichtig auf den Beifahrersitz. Ich sehe Herrn Madani, wie er den gesamten Abend schweigend in einem Sessel sitzt und das Treiben der Gäste beobachtet, stets ein gütiges Lächeln auf dem Gesicht: die Kinder, die nun alle Zweifel ausgeräumt haben, erwachsen geworden zu sein, und deren Kinder, die einmal ihre Eltern vorsichtig auf dem Beifahrersitz plazieren, um sie zu mehmunis mitzunehmen.
Als Tante Lobat zu Gott zurückkehren durfte, dem sie doch zu zürnen schien, konnten seine Kinder und die Schwiegertochter wieder ihren Alltag aufnehmen, der mühselig genug ist. Ãbrig blieb Herr Madani wie ein Vorarbeiter, der nach der SchlieÃung im Werk vergessen worden war. Das Siechtum seiner Frau hatte seine letzten Jahre ausgefüllt. Nun war das weiÃgekachelte Kinderzimmer leer und Herr Madani viel zu schwach, um noch etwas Neues in sein Leben zu stellen. Rasch wurde er bettlägerig, so daà seine Kinder und die Schwiegertochter sich wieder abwechselten. Immerhin zog er nicht ins Kinderzimmer um, sondern blieb nebenan im Elternschlafzimmer, wo seine verstorbene Frau über dem Bett lachend an seiner Schulter lehnte. Auf dem gerahmten Bild sitzen sie auf einer Mauer, die Oberkörper lehnen aneinander, während die Beine in entgegengesetzte Richtungen weisen. Herr Madani lächelt etwas verlegen ob der Zärtlichkeit, die sie vor aller Welt zeigen, und ist zugleich zufrieden, sogar stolz. Alle in meiner Verwandtschaft wuÃten: ein glücklicheres, harmonischeres Ehepaar gibt es bei uns nicht. Nicht einmal die eigenen Kinder haben sie je streiten sehen. Ich kann mich nicht erinnern, bei welchem Besuch in Isfahan von dem Ehebett nur noch eine Hälfte übrig war, ob nach Tante Lobats Schlaganfall, nach ihrem Tod oder erst als im Elternschlafzimmer Platz benötigt wurde für die Besucher, für Stühle, Beistelltische und Teetassen.
Herr Madani gehörte zu den Menschen, denen man auf Anhieb ansieht, daà sie keiner Fliege etwas zuleide tun. Bevor mein Vater nach Deutschland flog, vertraute er ihm jedesmal alle Schlüssel, Gelder, Konten und vor allem die Spendengelder an, mit denen der Kultur- und Hilfsverein Avicenna e.V. den Bau eines Wohnheims und eine Berufsschule finanzierte. Formal besteht der Verein aus den Mitgliedern unserer Familie; ich selbst bin Vertreter des Vorstands für kulturelle Fragen, glaube ich. Praktisch betreibt ihn mein Vater allein, um die guten Taten zu vermehren, die nach der Rückkehr zu Gott mehr wiegen als das Bekenntnis. Daà kein Funktionär die Spenden in die eigenen oder die Taschen der Revolution steckte, ist allerdings einzig und allein Herrn Madani zu verdanken, der die Bauarbeiten und Ãberweisungen pedantisch überwachte. Auf den offiziellen Photos der Einweihungen ist er dennoch nicht zu sehen oder lediglich am Rande.
Nie habe ich von ihm ein lautes Wort gehört oder mir auch nur vorstellen können. Immer hielt er sich im Hintergrund, sah zu, daà es die Besucher der armen Tante Lobat gut hatten, und drückte ihnen bei heiÃem Wetter ein Glas frisch gepreÃten Grapefruitsaft in die Hand. Anders als Herr Ketabi hatte er keine aufregenden Geschichten zu erzählen, anders als seine Frau war er ohnehin kein guter Geschichtenerzähler. Auch deshalb habe ich aus meiner Kindheit keine Erinnerung an ihn auÃer seinem freundlichen Blick. Er besaà keine Fertigkeiten und beherrschte keine Kunststücke, die ein Kind beeindrucken, hatte als Ingenieur keinen spannenden Beruf, imponierte nicht mit Schwimmbädern oder Sportwagen, spielte nicht Backgammon und unterhielt keine Gesellschaft. Nein, eine charismatische Persönlichkeit war er nicht, dafür
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