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Freitagsprediger rief siebzehn andere Geistliche der Stadt zusammen, um sich zu beraten. Gemeinschaftlich unterschrieben sie die Todesurteile, damit keiner allein verantwortlich war. Da Hadschi Mirza Hassan und Hadschi Mirza Hossein sich weigerten, ihren Glauben zu widerrufen, schnitt man ihnen die Kehlen durch wie Tieren, die nach dem islamischen Gesetz geschlachtet werden. Danach band man Seile um ihre FuÃgelenke und zog sie mit Pferden durch die StraÃen und den Basar von Isfahan bis hinters Stadttor, wo sie an einer alten Lehmmauer abgelegt wurden. Die Lehmmauer wurde über ihnen zum Einsturz gebracht. Einige Nächte später gruben die Babis der Stadt, zu denen der Mann von GroÃvaters Tante gehörte, Mirza Hassan oder Hadschi Mirza Hossein heimlich aus, wuschen sie mit dem Wasser des Zayanderuds, des »Lebenspendenden Flusses«, trugen die Leichen zum Friedhof und begruben sie, ohne einen Stein aufzustellen.
Jetzt ist auch noch die Katze wegen des Romans, den ich schreibe, vom Dach gestürzt. Während des letzten Absatzes ging er aus dem Zimmer, um in den Regalen, die im Flur stehen, nach Literatur über die Bahais zu suchen, und vergaÃ, die Tür hinter sich zu schlieÃen. Die Katze schlich sich hinter seinem Rücken nach oben in die Küche, von wo sie auf die Terrasse entschwand. Ohne das Verschwinden der Katze zu registrieren, setzte er sich wieder an den Schreibtisch und schrieb den Absatz zu Ende. Als die Schwägerin die Tochter zurückbrachte, fragte sie nach ein paar Minuten, wo eigentlich die Katze sei. Wohl muÃte er schlucken, als sie die Katze im Hof entdeckten, wo sie in ihrem eigenen Blut lag, wohl registriert er, wie tief der Tod ihrer Katze die Schwägerin erschüttert, stand neben ihr oder hielt sie fest, während ein weiterer Weinkrampf sie schüttelte, allein, er findet keine Ãffnung, durch die er mit ihr fühlt. Am Ende ist es doch nur ein Tier, um das sie weint. Hingegen die Empfindung der Tochter, für die es auch ihre Katze war, das ersehnte Haustier, glaubt selbst er nachzuvollziehen. Sie nimmt das gleiche, aber ohne Filter wahr, in wiederkehrenden Minuten als das Absolute, das für uns kaum noch existiert: Die Katze ist tot. Eben lebte sie, jetzt nicht mehr. Wenn die Tochter wörtlich sagte, sie könne es nicht fassen, ist das keine Floskel. Es ist die gleiche Aussage wie von den Mitgefangenen Akbar Mohammadis und genauso gemeint. Während der Vater sie im Arm hielt, sagte die Tochter unter Tränen, daà der Tod und das Leben Zwillinge seien. Woher sie das habe, fragte er. Von ihr selbst, antwortete sie. Bald brachte er sie schon wieder zum Lächeln, was bei Akbar Mohammadis Mitgefangenen nicht möglich gewesen wäre.
Der Sonntag bei der Frau war zum ersten Mal wieder wie immer, wenn zwischen ihnen Frieden herrscht, äuÃerlich nicht innig, das waren sie selten, dafür vertraut, einander wohlgesinnt, rücksichtsvoll und einig über die meisten Angelegenheiten. Wenn es so ist, wundern sie sich jedesmal, daà es anders sein kann, und wissen zugleich, daà vermutlich schon nächsten Sonntag wieder der eine etwas sagt, tut, zeigt oder nicht sagt, tut oder zeigt, was der andere als Kriegserklärung miÃdeutet. Er wünscht sich, jemand könne, ihr Therapeut, ein Geistlicher, ein Freund oder Bruder, ihm den Wert nennen, ab dem er sich zufriedengeben soll. Wieviel Wochen im Jahr müssen es sein, an denen Frieden herrscht? Fünfzig Prozent? Dann wäre 2006 theoretisch noch nicht verloren. Was wird er sich sonst vornehmen, bis wieder jemand stirbt? Die erste Zeit hielt er es für selbstverständlich, einen Roman zu schreiben, sobald alle Toten bedacht sind, endlich wieder einen richtigen Roman mit Handlung, Finale, Umschlag, wie er ihn früher schrieb. Schon weil er nicht zum Nachdenken kommt, geschweige denn zum Arbeiten, aus Verlegenheit oder um nicht nichts zu tun, wenn er auf den Schulschluà oder den Sonntagsbesuch wartet, führt er sein Totenbuch immer weiter, als bedeute es den eigenen Tod, wenn er aufhört. Taghi Madani schiebt er heraus, als wolle er plötzlich Zeit gewinnen. Mit Akbar Mohammadi hat er das Kriterium der persönlichen Begegnung aufgegeben; wenn sogar ein Zeitungsbericht reicht, könnte er jeden Tag jemanden ausfindig machen, der ihm auf Erden fehlt. Offenbar geht es nicht um die Toten, deren Gedächtnis vielleicht deshalb so dürftig wirkt, sondern
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